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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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»Bin ich vielleicht ein Pförtner«, ruft er empört und setzt zu einem Vortrag an, was heutzutage in einem Mietshaus alles und pausenlos kaputtgehe, weil die Leute auf nichts mehr achten und nichts mehr im Kopf haben. Keith stoppt ihn mit einer Handbewegung und wendet sich an seine Kollegin Quist. »Schau dir bitte auch die Film- und Musikkassetten an, ob da wirklich drin ist, was draufsteht.« Nach einem Blick auf die Armbanduhr verabschiedet er sich. Er läuft die Treppen hinab und nimmt dabei immer mehrere Stufen auf einmal, denn er hat es eilig.
    B eim Verglühen des Kometen Lew Dawidowitsch Bronstein, genannt Trotzki, ist auf Deutschland kein besonders sprühender Funkenflug niedergegangen. Zwar hat zu Zeiten des real existierenden Sozialismus dessen nimmermüde Staatssicherheit schon auch die eine oder andere trotzkistische Zelle ausgehoben, aber für vierzig Jahre DDR blieb das eine eher bescheidene Ausbeute. Eine dieser Zellen hatte sich um den Philosophiestudenten und ehemaligen DDR -Auswahl-Boxer Brutus Finklin gruppiert, falls die Zelle nicht überhaupt ausschließlich aus ihm bestand. Fünf Jahre vor dem Fall der Mauer war Finklin noch zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die er in Bautzen abzusitzen hatte. Und danach? Funkstille. Immerhin ist im Internet eine Adresse und eine Telefonnummer zu finden, danach wohnt ein Brutus Finklin in Crammenow, Kreis Havelland.
    Berndorf notiert beides, betrachtet seinen Schreibblock – und weiß auf einmal nicht, wozu das gut sein soll, was er da aufgeschrieben hat. Er hat einen Auftrag, ja doch. Der Auftrag lautet, herauszufinden, warum und von wem seine Klientin Karen Andermatt beschattet wird. Nichts sonst. Er steht auf, geht durch die Wohnung, die ihm in diesen Tagen zu groß ist und zu leer, denn es fehlt darin die Hauptperson. Er wirft einen Blick in Barbaras Zimmer und geht zum Heizkörper und überprüft die Temperatur, das Zimmer soll nicht geheizt werden, natürlich nicht, aber es soll auch nicht auskühlen …
    Damit er einen Grund hat, in das Zimmer gegangen zu sein, dreht er die Heizung um ein Geringes auf. Dann wirft er einen Blick auf die Armbanduhr, der Nachmittag ist schon fortgeschritten, also wird es in den Staaten später Vormittag sein, eigentlich könnte sie mal anrufen. Er geht in die Küche, weiß nicht, ob er Wasser für eine zweite Kanne Tee aufsetzen soll oder doch besser ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt, er hat nichts weiter vor an diesem Abend, so lächerlich das klingt. Die großen Detektive – ja die! – kennen solche Abende nicht, die wissen, wo sie hingehen müssen, damit sie über eine Leiche stolpern oder ihnen erst mal eins über den Schädel gezogen wird. Aber er ist ja auch kein großer Detektiv, er ist ein ausgedienter Pflastertreter, und eigentlich wartet er nur darauf, dass es 20. Dezember wird und er nach Tegel rausfahren und dort jemand vom Flieger aus New York abholen kann …
    Das Telefon klingelt, zum Glück ist in der Küche ein Anschluss, und er meldet sich, die noch ungeöffnete Bierflasche in der Hand. Es ist wahrhaftig Barbara Stein, Berndorf greift sich beglückt den nächsten Stuhl und setzt sich und lässt sich vom gestrigen Abend erzählen, es war ein Abend der Kirchenmusik, Studenten hatten Couperins Vertonung der Klagelieder Jeremias vorgetragen, »wenn diese hellen amerikanischen Sopranstimmen lateinisch singen, das hat schon seinen besonderen Reiz!« Danach war sie mit anderen Dozenten bei einem Kollegen eingeladen, ebenfalls einem Politologen, der Kollege hatte einen Rinderbraten im Gemüsetopf zubereitet und ist offenbar ein Künstler, denn so gut ist Barbara in den Staaten eigentlich nie verköstigt worden. »Und jetzt du!«
    Berndorf weiß nichts Rechtes zu antworten, nichts, das mit Couperin oder einem Rinderbraten mithalten könnte. »Die Sache mit meiner Klientin läuft wohl auf eine firmeninterne Intrige bei Regnier hinaus«, teilt er mit und überlegt dabei, ob er von dem Mord erzählen soll. Das will er eigentlich bleiben lassen, weil er Barbara beim besten Willen nicht erklären kann, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll.
    »Da ist doch noch was?«, fragt Barbara.
    »Ich versteh dich jetzt nicht«, lügt Berndorf, »was soll da noch sein?«
    »Du hast gerade genau den Ton drauf wie immer, wenn du dir überlegst, welche Portion Wahrheit du mir abgeben willst.«
    »Bitte sehr«, antwortet Berndorf ergeben und erzählt nun doch, was sich an den Fall Andermatt sonst noch

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