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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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angehängt hat. Während er spricht, wird er immer verlegener. Nichts passt da zusammen, und nichts geht ihn wirklich was an.
    »Und der Tote hatte Verbindung zu trotzkistischen Gruppierungen?«, fragt Barbara sachlich. »Du weißt aber nicht zu welchen? Vielleicht zur Fünften Internationalen?«
    »Keine Ahnung«, gibt Berndorf zu. »Der Tote war Senatsangestellter. Normalerweise sammelt so jemand Briefmarken. Oder Bierdeckel. Dieser hat Erstausgaben gesammelt. Aber was das mit Trotzkismus zu tun haben kann, ist mir ebenso schleierhaft wie dieser selbst.«
    »Wenn man die Wahrheit stiehlt, dann kann sie nicht vergessen werden«, sagt Barbara. »Die Oktoberrevolution in Sankt Petersburg, also der Sturm auf das Winterpalais und alles, was folgte, das war von Trotzki vorbereitet und organisiert und geführt worden. Aber Stalin hat diese Wahrheit gestohlen, und deswegen geistert der Trotzkismus auch nach bald hundert Jahren noch immer durch die Hinterzimmer der Weltgeschichte …«
    »Und wie kann man ihn erlösen?«
    »Durch die Weltrevolution, mein Schatz.«
    »Ah ja«, meint Berndorf. »Und was wird dann sein?«
    »Ein deutscher Trotzkist hat das mal sehr schön zusammengefasst, ich weiß aber nicht, ob ich es noch zusammenbekomme …« Sie legt eine kurze Pause ein. »Also: Er habe die unverrückbare Zuversicht, sagte dieser Mann, dass Habsucht, Geldgier, Konkurrenzneid, Selbstsucht, Unterwürfigkeit – dass dieses alles dem Menschen nur mühsam andressiert worden ist, und zwar vom Kapitalismus andressiert, und dass es eben nicht die wahre Natur des Menschen beschreibt. Aber erst die Weltrevolution wird diese wahre Natur des Menschen hervorbringen.«
    »Hört sich gut an«, meint Berndorf. »Und wie überwinden wir den Kapitalismus?«
    »Das ist wohl nicht ganz so einfach«, räumt Barbara ein. »In den Achtziger Jahren haben die Trotzkisten mal die Stadtverwaltung von Liverpool übernommen, sind dann aber doch von der schrecklichen Eisernen Lady Thatcher zum Aufgeben gezwungen worden. Die Kosten für die Aufräumarbeiten sollen erheblich gewesen sein. Sonst sind die Trotzkisten seit gut siebzig Jahren vor allem damit beschäftigt, sich gegenseitig als Konterrevolutionäre oder Stalinisten zu überführen … Aber ich will dir keine Vorlesung halten. Am besten kennt sich damit einer unserer Dozenten aus, ich gebe dir mal seine Adresse.«
    E s ist 17.58 Uhr, der dunkelblaue BMW mit dem Rostocker Kennzeichen gleitet aus der Parklücke, rollt die Straße vor, dann bremst der Fahrer ab und setzt den rechten Blinker und hält neben einem Textilladen für fabrikneue Sonderposten, unmittelbar vor der Einmündung in die Karl-Marx-Allee. Ein anderer Wagen schließt auf und hupt, aber der Fahrer lässt sich nicht beirren. Er hat beide Hände auf dem Lenkrad, er trägt Handschuhe, diese Fahrerhandschuhe mit Löchern für die Knöchel, aber wer genau hinsieht, dem würden trotzdem die verfärbten Narben an den Handgelenken auffallen.
    Vom Aufgang der U-Bahn-Station kommt ein Mann in dunklem Mantel, geht umstandslos zu dem BMW , öffnet die rückwärtige rechte Tür und setzt sich. Fast lautlos fährt der BMW an und biegt in die Karl-Marx-Allee ab.
    Die beiden Männer im BMW haben sich nicht begrüßt. Der Fahrer – ein rundlicher Mann mit kurzen weißblonden, in der Mitte gescheitelten Haaren – fragt auch nicht, wohin er den Fahrgast bringen soll. Sie werden eine Runde fahren, wie immer, und dann wird er ihn wieder aussteigen lassen.
    Dem Mann im Fond ist es offenbar zu warm. Er knöpft seinen Mantel auf, nimmt aber den schwarzen Hut nicht ab. »Könnten Sie mal die Heizung runterfahren?«
    Der Fahrer zuckt die Schultern, greift zu einem Drehknopf und korrigiert die Einstellung. Der BMW ist ein älteres Modell, aber es ist ein gepflegter Wagen, und richtig schnell fahren kann man damit auch.
    »Warum haben Sie das Rostocker Kennzeichen aufgezogen?«, fragt der Mann im Fond.
    »Zur Sicherheit«, antwortet der Fahrer. Es ist Dolf Patzert, der mit Vornamen eigentlich Detlev heißt. Aber weil ihm einmal jemand gesagt hat, Detlev sei ein Schwulenname, jedenfalls in Witzen über Schwule, darf ihn niemand so nennen. »Ich weiß ja nicht, ob ich für Sie noch was … erledigen muss.«
    »Sie sollten das Kennzeichen hier in Berlin nicht zu oft benutzen. Und den Wagen auch nicht zu oft durch die Waschanlage fahren. Der sieht ja jetzt schon aus wie ein polierter Oldtimer. So was fällt alles auf.«
    »Sie haben schlechte Laune«,

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