Berndorf 07 - Trotzkis Narr
mich, bitte. Privat. Sonst noch etwas?«
»Ach!« Karen hebt die Augenbrauen. »Du meinst, damit seien wir quitt? Jeder geht seiner Wege, und wenn wir uns mal wieder über den Weg laufen, auf irgendeinem Firmentermin vielleicht, dann deutest du den Handkuss an und sagst, wie charmant, Sie wiederzusehen! So ungefähr?«
»Spiel nicht mit mir. Ich bin als Maus nicht sehr geeignet.«
»Moment.« Karen deutet mit dem Zeigefinger erst auf sich, dann auf ihn. »Ich spiele mit dir? Hast du das gerade gesagt? Nach deinem Auftritt als nicht mehr ganz jugendlicher, aber stürmischer Theaterkartenliebhaber sagst du so etwas? Aber bitte. Kein Spiel mehr. Werden wir ernst. Es gilt das gesprochene Wort. Du wolltest wissen, wer ich wirklich bin? Einverstanden. So uninteressant finde ich diese Frage gar nicht. Also, mein Lieber, was hast du herausgefunden? Wer bin ich wirklich?«
Stukkart verschränkt die Arme vor dem Oberkörper. Noch immer sind die Augen ganz schmal. »Ich weiß es nicht«, sagt er schließlich. »Im Grunde wissen wir es nie, von keiner Frau …«
»Werde nicht auch noch wehleidig!«, fährt ihn Karen an. »Das passt nicht zu diesem Gesicht, das du gerade aufgesetzt hast, diesem CEO-Gesicht.« Nun ist es sie, die zum Fenster geht, an ihm vorbei. »Offenbar hast du nicht begriffen, dass du mit deiner Frage etwas losgetreten hast. Etwas, das du nicht mehr aufhalten kannst.« Sie greift in ihren Rücken und zieht den Reißverschluss des schwarzen, hochgeschlossenen, aber ärmellosen Kleides auf. »Wer bin ich wirklich? Das würde ich nämlich selbst gern wissen. Und weil du mir das nicht beantworten kannst – deshalb wirst du es mir zeigen. Oder zu zeigen versuchen. Du wirst mich so weit bringen, wie du nur kannst. Wie du es nur irgend hinkriegst … dreh dich um und schau mich an!« Sie streift sich das Kleid über die Schultern und lässt es zu Boden gleiten.
T amar hat die Rückenlehne ihres Wagens tiefer gestellt, gerade so weit, dass sie den Appartementblock schräg gegenüber im Auge behalten kann. Das Haus ist dunkel, nur ein einzelnes Fenster leuchtet in die Nacht.
Kein Vorhang. Vorhänge sind spießig. In New York, so hat sie irgendwo gelesen, liegen in manchen Hotelzimmern Feldstecher bereit. Um die Nackte im Hochhaus gegenüber zu beobachten. Oder das Paar. Und die Nackten wissen, dass sie beobachtet werden. Es ist Teil ihrer Lust.
Aber Tamar war schon lang nicht mehr in New York.
Am Fenster erst der Mann. Hat irgendwann die Hand gehoben, als ob er mit den Fingern gegen die Scheibe trommeln wollte. War das Gespräch nicht ganz so erquicklich? Später erschien die Frau. Von wegen Klosterschülerin. Warum ist sie mit ihm aufs Zimmer gegangen? Warum wohl! Die Bewegung der Arme über dem Kopf war eindeutig. Der Reißverschluss am Rücken! Eindeutig und provokant. Als sollte ganz Berlin ihr dabei zusehen.
Und jetzt? Das Licht wurde nicht gelöscht, auch nirgendwo ein anderes eingeschaltet. Also findet die Sache auf der Couch statt. Oder auf einem dieser modernen Sessel. Allerhand Stellungen sollen da möglich sein. Vielleicht kommt man auch – Knall auf Fall – auf dem Teppich zur Sache. Aber das Fenster geht nicht bis zum Boden. So müssen die beiden darauf verzichten, dass ihnen jemand zusieht. Manche, so heißt es, kommen auch so auf ihre Kosten.
Was tut sie hier eigentlich? Sie hat einen klaren Auftrag: zu überprüfen, ob diese Karen Andermatt weiter überwacht und beschattet wird. Das Ergebnis ist ebenso klar: nämlich negativ. Niemand folgt dieser Karen, niemand fährt ihr hinterher. Nur sie selbst.
Das ist auch nicht verwunderlich. Spätestens, als das GPS -Gerät gefunden wurde, müssen die Leute von Meunier & Kadritzke gewusst haben, dass die Überwachung aufgeflogen ist. Was tut sie also noch hier, mitten in der Nacht? Berndorf wird sich über die Stunden wundern, die sie ihm berechnet. Sein Problem. Ich möchte wissen, ob diese Frau observiert wird. Behalten Sie sie also im Auge, wohin sie auch geht. Hat er das nicht gesagt?
Wohin sie auch geht. Komische Anweisung. Egal. Sie schließt die Augen. Das darf sie. Sie hat einen leichten Schlaf. Falls das Auto aus der Tiefgarage des Appartementblocks kommt, wird sie es hören. Sie wird also auf dem Posten bleiben, jedenfalls so lange, wie da oben Licht brennt …
… hilflos hängt der Arm auf der Stützschiene nach unten. Aus dem Loch in der Stirn des Mannes fließt fast kein Blut. Aber über seiner Brust rötet sich das Hemd …
Tamar
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