Berndorf 07 - Trotzkis Narr
kennengelernt, der sie zu einem Vortrag eingeladen hatte … Und irgendwie ist sie darauf verfallen, dass ich sie in den kommenden Wochen journalistisch begleiten soll.« Sie sucht seinen Blick, aber Berndorf ist schon wieder in die Expertise vertieft. »Sie stellt sich ein schmales Buch vor, Short Cuts aus dem Berliner Wahlkampf, etwas in dieser Art, ich war nicht ganz abgeneigt, das ist eine interessante Frau, vielleicht schafft sie es, diese Stadt aufzumischen … Und als wir darüber sprachen, kam ein Anruf, und dann wollte sie von mir wissen, ob ich schon einmal einen Toten gesehen habe, einen, den man totgeschossen hat, und hat mich mitgenommen.«
»Und?«, fragt Berndorf, »hat er Ihnen gefallen?«
»Bitte?«, fragt Karen zurück, aber es kommt keine Erklärung. »Ich verstehe«, fährt sie zögernd fort, »Sie sind nicht sehr zufrieden mit mir. Sie halten mich … ach, das will ich jetzt lieber nicht wissen, wofür Sie mich halten. Ich bin übrigens auch nicht zufrieden mit mir, wenn Sie das beruhigt … Und der Tote, nein, besonders gefallen hat er mir nicht. Aber das Schlimmste, das war der Kartoffelsack.«
»Der Kartoffelsack?« Noch immer macht sich Berndorf Notizen.
»Der Mörder hat den Toten damit zugedeckt. Und dann Backsteine draufgelegt, damit es den Sack nicht wegweht. Was man nicht sieht, das ist auch nicht passiert. Finden Sie das nicht obszön?«
»Backsteine?«, fragt Berndorf und blickt auf. »Wo hatte er die denn her? Und den Kartoffelsack?«
»Das weiß ich nicht. Darüber wurde nicht gesprochen. Und ich – ich war nur geduldet, stand nur dabei, es wäre anmaßend gewesen, Fragen zu stellen. Selbst wenn mir etwas aufgefallen wäre.«
»Der Kartoffelsack ist Ihnen aber aufgefallen«, hakt Berndorf nach, der inzwischen auf seinem Notizblock ein neues Blatt aufgeschlagen hat. »Wieso überhaupt Kartoffelsack? Waren da welche drin?«
»Es war ein Sack aus Jute«, korrigiert sich Karen. »Ein ziemlich großer Sack. Mir kam es so vor, als würde so was vielleicht im landwirtschaftlichen Großhandel gebraucht.«
»Und lag da Bauschutt herum, den irgendwer in den Wald gekippt hat? Oder wo kamen die Backsteine her?«
Karen runzelt die Stirn. »Dass es Bauschutt gewesen wäre, hab ich nicht gesehen … Die Backsteine sahen auch aus wie – wie Backsteine eben, wie man sie im Baumarkt bekommt, denke ich mal. Da war auch kein alter Verputz dran und auch kein Zement.«
»Und die sind dann in den Wald gefahren worden mit dem Auto, das dem toten Polizisten gehört hat – habe ich das richtig verstanden?«
»So, wie Sie das sagen, klingt das komisch«, meint Karen. »Soll ich die Wohlfrom-Kühn mal danach fragen?«
»Besser nicht.« Berndorf zeigt kurz die Zähne. »Auch Staatsanwältinnen sind nur Menschen. Auf Fragen, auf die sie nicht selber kommt, wird sie ungern eingehen … Aber zu diesem Gutachten da, oder als was es sich ausgibt … Das ist im Auftrag der Regnier AG erstellt worden, sagten Sie. Wissen Sie zufällig, was dafür bezahlt wurde?«
»Nein, das weiß ich nicht. Aber es wird nicht ganz wenig gewesen sein. Mein Mann behauptet, Regnier sei hereingelegt worden.«
»Dazu gehören immer zwei«, meint Berndorf. »Einer, der hereinlegt, und einer, der sich hereinlegen lässt. Dieses Konvolut hier besteht zum einen aus Material, das samt Bildern und graphischen Darstellungen ungeniert und freihändig aus dem Internet heruntergeladen worden ist, und zum anderen aus Landschaftsbeschreibungen und heimatgeschichtlichen Darstellungen, die nach meiner Meinung völlig unverändert einem Reiseführer des 19. Jahrhunderts entnommen worden sind. Dieser Teil ist übrigens sehr angenehm zu lesen …«
»Gewiss doch«, stimmt Karen zu. »Der Text ist von Fontane. Aus den Wanderungen durch die Mark Brandenburg … Verstehen Sie jetzt, warum ich wissen will, in was mein Mann sich da eingelassen hat?«
D icht gedrängt stehen die Trauergäste zwischen den Säulen der Kondolenzhalle des Neuen Städtischen Friedhofs am Baumschulenweg und hören die Übertragung der Trauerrede, die der Innensenator vor den geladenen Gästen hält. Das heißt, es ist nicht so sehr eine Rede, sondern der Innensenator liest Worte vor wie Pflichterfüllung, Aufopferung, ruchlose Tat, Herausforderung, bis auf die ruchlose Tat sind es lauter Worte auf –ung , konstatiert Berndorf, der neben einer der Säulen steht, umgeben von Polizisten mit schwarzem Trauerflor am Revers. Nach einer Weile hat Berndorf genug von diesen
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