Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Worten, er schiebt sich an den Uniformierten vorbei und verlässt die Kondolenzhalle. Dann atmet er erst einmal durch und schlägt den Weg zu dem schon ausgehobenen Grab ein, wo er sich einen Platz suchen will, von dem aus er das weitere Geschehen beobachten kann.
»Sie sind Trauergast?«, wird er gefragt. Vor ihm steht ein Polizist, die MP umgehängt.
»Ich denke doch«, meint Berndorf und weist den Trauerflor vor, den auch er angelegt hat. Zwar habe er keine nähere Beziehung zu Jonas Regulski gehabt. »Aber ich kannte ihn.«
Doch der Polizist ist nicht zufrieden und weist auf die Kondolenzhalle. »Die Trauerfeier ist noch im Gange.« Berndorf erklärt, die Halle sei voll und er ziehe es vor, hier zu warten, worauf der Beamte den Ausweis sehen will und sich den Namen notiert.
Berndorf sieht ihm dabei zu, die Augenbrauen leicht angehoben. »Danke«, sagt er, als er den Ausweis zurückerhält. »Aber darf ich Ihnen noch einen Rat geben? Bei den vielen Trauergästen, Kollege, die am Grab zu erwarten sind, sollten Sie im Falle einer Störung vielleicht nicht gleich zur MP greifen.«
»Ich bin nicht Ihr Kollege«, antwortet der Polizist. »Gehen Sie bitte weiter zurück!« Berndorf tut, wie ihm geheißen, bis er schließlich unter einem Baum stehen bleibt und nicht weiter beanstandet wird. Aber da ist vorne bei der Kondolenzhalle Bewegung zu sehen, die ersten Trauergäste verlassen das Gebäude, dann machen sie Platz, denn der Sarg wird herausgetragen, sechs Polizisten haben ihn geschultert, beim Näherkommen sieht Berndorf, dass es fünf Beamte sind und eine Beamtin. Das letzte Geleit gibt auch der Innensenator. Eine Frau in schwarzem Pelzmantel, das graue Haar unter schwarzem Kopftuch gefasst, ist erkennbar nicht die Witwe und hält auch merklichen Abstand zum Innensenator – plötzlich ist ihm klar, dass das die Staatsanwältin Wohlfrom-Kühn sein muss, in den Zeitungen sieht man immer wieder mal ein Bild von ihr. Offenbar gibt es keine Witwe, ein alter, gebeugter Mann wirft eine zittrige Schaufel Erde ins Grab – doch nicht der Vater? Vermutlich der ältere Bruder, nach ihm eine kaum jüngere Frau, die Schwägerin also, dann ein kräftiger Mann mit gegerbtem, tief gefurchten Gesicht, der sich wahrhaftig eine Träne aus dem Auge wischt, ehe er die Schaufel tief ins Erdreich stößt … Eine schwarz Gekleidete, die sich rasch abwendet – Regulskis geschiedene Frau? Dann nehmen auch Innensenator und Staatsanwältin die Schaufel in die Hand, die Kolleginnen und Kollegen, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei … Berndorf überlegt, ob er sich nun auch der Reihe der Trauergäste anschließen soll, als er wieder diesen einen Mann mit dem gegerbten Gesicht sieht, der sich vom Grab abgewendet hat und nun unversehens auf ihn zukommt, mit starrem, verdüsterten Gesicht. Aber er geht an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen.
Berndorf lässt ihm ein paar Schritte Vorsprung, dann folgt er ihm, mit wechselndem Abstand, zwischendurch die Gräberreihen wechselnd. Sie kommen an der Kondolenzhalle vorbei, der Mann überquert die Straße, welche die beiden Teile des Friedhofs trennt, und betritt den nördlichen, in den Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts angelegten Bereich.
Der Himmel ist nicht bedeckt, aber ein wenig verschleiert, es kommt gerade so viel Sonne durch, dass man die Wärme im Gesicht spürt, vereinzelt leuchtet noch Herbstlaub in den Bäumen. Noch immer hält sich Berndorf in respektvollem Abstand von dem Mann, der ein ruhiges gleichmäßiges Tempo angeschlagen hat. Dann werden die Schritte langsamer, der Mann bleibt vor einem Grab stehen, einem Findlingsstein inmitten von kurz geschnittenem Rasen. Berndorf findet etwas abseits eine Bank und setzt sich, den Kopf zurückgelehnt, die Augen halb geschlossen. Der Mann steht noch immer da, in offenem dunklem Lodenmantel, darunter ein altmodisch geschnittener schwarzer Anzug, vor dem Schritt eine Hand in die andere gelegt. Zeit vergeht, dann greift der Mann in die Hosentasche, holt ein großes weißes Taschentuch hervor, schnäuzt sich und trocknet sich dann auch gleich noch die Augen. Ohne sich weiter umzusehen, wendet er sich ab und geht mit seinen ruhigen, bedächtigen Schritten dem Ausgang zu.
Berndorf bleibt noch ein wenig sitzen. Nur ein paar Sonnenstrahlen noch! Was tut er hier überhaupt? Einem Mann nachspüren, nicht viel jünger als er selbst, und beobachten, wie er dasteht in seinem schlecht geschnittenen Anzug und trauert? Und das
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