Berndorf, Jacques (Hrsg)
mein Ei.
»Drei?« Der Wirt horcht auf. »Ich denke, Dorsel lebt noch.«
Mist. Es läuft mir heiß und kalt über den Rücken.
In die Stille hinein platzt der Postbote. »Morgen! Dorsels Hans-Joachim ist übrigens letzte Nacht gestorben.« Er zückt einen Brief und einen Kugelschreiber. »Einschreiben!«
Ich atme erleichtert auf.
Später überlege ich, wie ich wohl am Besten meinen letzten Tag verbringe. Ich könnte einen Ausflug ins Freilichtmuseum nach Kommern machen. Das ist nicht weit weg, und das schöne Wetter scheint einigermaßen stabil zu sein.
Also mache ich mich auf den Weg und lenke meinen Wagen auf die Bundesstraße. Ein sonniger Tag. Aus den Lautsprechern des Autoradios näselt Barry Manilow. Ich bin noch nicht weit gekommen, als ich in der Ferne auf einem Feld einen Trecker sehe. Ein alter Fendt mit blassgrüner Motorhaube und grauer Planenkabine, der einen Heuwender hinter sich her zieht. Am Steuer erkenne ich den Mann, der Daufenbach hat verschwinden lassen. Er winkt. Und dann sehe ich plötzlich einen Geländewagen, der über die Kuppe geschossen kommt und über das Stoppelfeld auf den Trecker zusteuert.
Der Wagen hält, zwei Männer springen heraus. Einer ist der Schnurrbärtige aus Denster, kein Zweifel. Sie haben längliche Gegenstände in der Hand. Begleitet von Barry Manilow krachen Schüsse durch die Sommerluft.
Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich noch, wie die Gestalt des großen dicken Mannes aus dem Trecker kippt. Ich drehe das Autoradio lauter.
Bevor ich nach rechts in Richtung Kommern abbiege, kann ich noch erkennen, wie einer der Männer aus Denster auf der benachbarten Wiese rasch eine Kuh umschubst.
Mein Besuch im Freilichtmuseum verläuft ereignislos. Ich spaziere wie ein ganz gewöhnlicher Tourist zwischen den alten Häusern über die staubigen Wege. Irgendwie kann ich mich kaum konzentrieren.
In der Baugruppe Westerwald spricht mich eine Dame an, der ich offensichtlich ausreichend attraktiv und ausreichend alleinstehend vorkomme. »Urlaub in der Eifel? Wie lustig. Ich auch.«
Ich bin nicht unhöflich und gebe mit wenigen Fakten Auskunft.
»In Ginsterfeld? Ich habe Verwandtschaft im Nachbardorf, in Orft.«
»Das kenne ich.«
»Sind sie schon mal dagewesen?«
»Noch nicht ganz.«
»Da ist heute Mittag eine Frau totgefahren worden.«
Ich merke auf. Neuigkeiten!
»Ja, mitten auf der Straße. Meine Cousine hat es vorhin am Telefon erzählt. Ich wollte ihr eigentlich heute Nachmittag einen Besuch abstatten.«
»Tun sie es nicht.« Mein Rat ist ernst gemeint. Ich habe das Gefühl, dass das alles noch nicht zu Ende ist.
Auf meinem Rückweg kann ich nicht anders. Mein Auto fährt wie von selbst nach Orft. Die Bäume sind aus dem Weg geräumt. Großer Fehler, denke ich. Die Frau wäre vielleicht nicht überfahren worden, wenn die Bäume liegen geblieben wären.
Auch Orft ist ziemlich hübsch. Mitten im Ort gibt es eine Wassermühle. Alles ist mit Blumen geschmückt, Hummeln und Schmetterlinge taumeln durch die Luft.
Vor der Mühle steht Mauels Erwin. Er grinst mich fröhlich an, als ich den Wagen abgestellt habe und auf ihn zu bummele.
»Immer noch Urlaub?«, fragt er heiser.
»Nur noch heute.«
Am Bachlauf stehen ein paar Leute, die schwatzen und Flaschenbier trinken. Ein sommerliches Dorfidyll.
Ich betrachte das Mühlrad, das sich träge dreht. Wasser trieft von den Sprossen. Es schmatzt und plätschert.
Was ist das?
Ein Bündel, das an beiden Enden am Rad festgebunden ist. Zappelnde Finger, ein Kopf, ein Mund, in dem etwas steckt. Schon ist es wieder unter Wasser.
Mauel versucht, mir die Sicht zu versperren. Er ist natürlich zu klein und zu dürr. Im nächsten Moment fördert das Mühlrad seine Fracht wieder an die Luft. Von der Statur her könnte es der Kuhschubser aus Denster sein, aber ich kann mich natürlich irren.
»Dann wünsche ich mal eine gute Heimreise«, sagt Mauel und hustet infernalisch. »Diesen Husten werde ich nie mehr los.«
In diesem Augenblick wird Motorengeräusch laut. Ein Subaru kommt mit Vollgas die Dorfstraße heraufgebraust. Er fährt wilde Schlangenlinien und brettert über den Gehweg, ganz dicht an den Häusern vorbei. Hände mit Knüppeln dreschen die Briefkästen von den Hauswänden.
Dann fallen Schüsse. Zwei Mann am Mühlrad gehen mit einem Stöhnen in die Knie. Ich sehe das Mündungsfeuer.
Mauel bricht ebenfalls getroffen zusammen. Ich werfe mich neben ihn auf das Straßenpflaster.
Er röchelt wie vorhin, aber seine
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