Berndorf, Jacques (Hrsg)
Bäumen, hoch über dem Ufer, die Mauern des Guts Lüppenau erkennen. Der Köder dümpelte. Theo zog den Haken ein und warf ihn erneut aus. Wieder in das fließende Wasser, wieder treiben lassen, abwarten. Theo genoss die Ruhe am morgendlichen Fluss. Aus dem Augenwinkel beobachtete er gespannt, was sich am Haken tat, ansonsten hatte er genug Muße, die Natur zu genießen. Etwas flussabwärts, dort wo eine Reihe kleinerer Bäume stand, hatten Biber eine Burg gebaut. Hin und wieder glitt dort eines der dicken Kerlchen mit einem leisen Platschen ins Wasser, tauchte ab, streckte etwas später seinen Kopf wieder in den Nebel, um sofort wieder zu verschwinden. Ruhig und dunkel floss die Rur dahin. Auf einem Stein am Ufer saß eine Wasseramsel. Sie knickste mit den Beinen auf und ab, fast so, als müsste sie ihre Knie an dem frischen Morgen warm halten. Theo beobachtete belustigt den kleinen Vogel, dessen weiße Brust im Dämmerlicht nur ganz matt über dem schwarzen Fluss schimmerte. Wieder dümpelte der Schwimmer im stehenden Gewässer. Noch kein Biss. Der alte Räuber schien abzuwarten. Vielleicht war es ihm noch zu dunkel. Wieder einholen, wieder auswerfen. Abwarten. Der Eisvogel, den Theo schon länger nicht mehr gesehen hatte, surrte über das Wasser. Er landete auf einem Ast, der über das Ufer hinaushing. Noch ein Fischer ohne Lizenz, dachte Theo. Das bunte Gefieder des schönen Vogels war kaum zu erahnen. Der Nebel machte alles grau.
Theo seufzte leise. Er war müde. Kaum geschlafen in der Neumondnacht. Oder vielleicht war es auch mehr der Kummer gewesen, der ihm den Schlaf geraubt hatte. Karola war schon seit Monaten recht garstig zu ihm. Kaum eine Gelegenheit ließ sie aus, um zu sagen, wie dumm er sei. Der Theo kapiert mal wieder nicht, der Theo hat schon wieder nicht geschaltet, immer wieder. Theo grinste bitter. Seine alte Mutter hatte es ihm ganz klar gesagt: Wenn die Frauen so herumnörgeln, gehen sie fremd, oder sie wollen es zumindest. Und seine Karola war so seltsam in letzter Zeit, abweisend und noch harscher als früher. Und gestern Abend, als er sich mit ihr aussprechen wollte, tat sie ganz komisch und wollte kein Wort mit ihm reden. Da hatte er sich im Bett umgedreht und wollte nur schnell einschlafen. Und das klappte nicht. Die ganze Nacht nicht. Und jetzt stand er hier im Wasser, und die kalte Rur tat ihm gut. Heute morgen war es vielleicht soweit. Jetzt konnte er allen zeigen, was in ihm steckte. Er würde den alten Räuber fangen. Nun ja, zeigen konnte er es natürlich niemandem. Aber der stille Triumph würde ihm reichen. Er war gar nicht so ein Darsteller wie die anderen Kerle im Dorf. Mehr Schein als Sein, hatte sein Vater immer gesagt. Theo warf die Angel erneut aus. Der Schwimmer trieb ab, er zog die Angelschnur in Richtung Ufer. Der Eisvogel schwirrte im Tiefflug über die Wasseroberfläche, direkt über den Köder hinweg. In diesem Moment spürte Theo einen Widerstand an der Angel. Instinktiv riss er die Schnur hart an. Der Haken saß, das spürte er sofort. Und etwas Schweres, Starkes zog mit großer Kraft am anderen Ende der Angelschnur.
Theos Herz schlug schneller. Er drillte ein Stück, schwer ging das, sehr schwer, dann ließ er kurz nach, drillte wieder. Etwas ragte kurz aus dem Wasser, verschwand wieder. Theo nahm alle Kraft zusammen und zog wieder ein Stück Schnur an. Er stöhnte vor Anstrengung. Innerlich frohlockte er. So stark zogen keine Forelle und kein Aal. Der alte Räuber war am Haken, da war er sich sicher. Theo zog aus Leibeskräften, verkürzte die Distanz zwischen sich und seiner Beute Stück für Stück. Schemenhaft war etwas im Wasser zu erkennen. Jetzt sah er den Fisch. Immens groß, mindestens einsfuffzich, vielleicht länger, oh Gott, ganz bestimmt länger! Theo drillte sich noch näher heran, der Fang war groß wie ein Mann, es war – ein Mann.
Theo stand wie versteinert da und blickte in das bleiche Gesicht des Försters Mattes. Dessen weit aufgerissene Augen glotzten ihn aus dem Wasser an, als wolle er seine Rolle als Fisch geduldig weiterspielen. Und Geduld hatte der Mattes jetzt sicherlich viel, denn er war tot.
Der Haken steckte in seiner weißen Kehle, und durch das Drillen hatte sich die Schnur noch mehrmals um seinen Hals gewickelt. Doch daran war der Mattes sicherlich nicht gestorben. Schon eher an dem Messer, dessen Heft aus seiner Brust ragte. Theo unterdrückte ein aufkommendes Gefühl von Schwäche und Übelkeit. Er packte die Leiche und zog sie
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