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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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allen Städten die größte. Sie hätten vor dem Krieg herkommen sollen: Gerstner, Lehmann, Heiner, Aida, Haag, Sluka, Brdenick - Torten und Kuchen, wie Sie sie noch nie gegessen haben.» Er nahm einen zweiten großen Bissen. «Nach Wien zu kommen und Süßes nicht zu mögen? Nun, das ist, als wenn man einen Blinden auf eine Fahrt mit dem Riesenrad im Prater mitnehmen würde. Sie wissen nicht, was Ihnen entgeht. Wollen Sie nicht doch ein Stück chen probieren? »
    Ich schüttelte entschieden den Kopf. Mein Herz schlug so rasch, daß ich glaubte, er müsse es hören. Angenommen, er aß den Kuchen nicht auf?
    « Ich könnte wirklich nichts runterbringen. »
    Nebe schüttelte mitleidig den Kopf und biß noch einmal kräftig zu. Die Zähne können nicht echt sein, dachte ich und betrachtete seine ebenmäßigen weißen Zahnreihen. Nebes eigene Zähne waren viel fleckiger gewesen.
    «Außerdem", sagte ich ungezwungen, «muß ich auf mein Gewicht achten. Seit ich in Wien bin, habe ich ein paar Kilo zugenommen. "
    «Ich auch", sagte er. «Wissen Sie, Sie sollten wirklich ... " Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er riß den Kopf hoch und hustete und röchelte. Er wurde plötzlich steif, und seinen Lippen entfuhr ein schreckliches Geräusch, als versuchte er, eine Tuba zu blasen, und Stücke halbzerkauten Kuchens quollen aus seinem Mund. Der Kuchenteller fiel klappernd zu Boden, und Nebe folgte ihm. Ich kroch über ihn und ver suchte, ihm die Automatik aus der Hand zu winden, ehe er feuern und Müller und seine Schläger herbeilocken konnte. Zu meinem Entsetzen sah ich, daß die Waffe gespannt war, und in derselben Sekunde drückte der Finger des sterbenden Nebe ab.
    Aber der Hahn klickte harmlos. Die Waffe war nicht ent sichert. Nebes Beine zuckten schwach. Ein Augenlid schloß sich zitternd, während das andere Auge widernatürlich ge öffnet blieb. Sein letzter Atemzug war ein langes, schleimiges Gurgeln und verbreitete einen starken Mandelgeruch. Schließlich lag er still, sein Gesicht nahm bereits eine bläu liche Färbung an. Angeekelt spie ich meine Todespille aus. Ich hatte wenig Mitleid mit ihm. In ein paar Stunden hätte er vielleicht zugeschaut, wie mit mir dasselbe passierte.
    Ich wand die Waffe aus Nebes toter Hand, deren Haut jetzt von der Zyanose grau gefärbt war. Nachdem ich seine Ta schen vergeblich nach dem Schlüssel für meine Handschellen durchsucht hatte, stand ich auf. Mein Kopf, meine Schulter, meine Rippen, ja, wie es schien, sogar mein Penis, schmerzten entsetzlich, aber ich fühlte mich viel besser mit dem Griff der Walther P 38 in meiner Hand. Eine solche Waffe hatte Linden getötet. Ich stellte den Hahn mit dem Daumen auf HalbAutomatik, wie Nebe es getan hatte, bevor er in meine Zelle kam, schob den Sicherungs bügel zurück, was Nebe vergessen hatte, und verließ vorsichtig die Zelle.
    Ich ging bis zum Ende des feuchten Flurs und stieg die Treppe hinauf, wo die Presse stand und Veronika gestorben war. Es gab nur eine Lampe in der Nähe der Vordertür, und ich ging darauf zu und wagte kaum, einen Blick auf die Presse zu werfen. Wäre mir Müller über den Weg gelaufen, hätte ich ihn gezwungen, in die Presse zu steigen, und dann hätte ich ihn aus seiner bayerischen Haut gequetscht. Bei einer besseren körperlichen Verfassung hätte ich versuchen können, es mit den Wachen aufzunehmen und zum Haus hinaufzugehen, um ihn womöglich zu verhaften. Vermutlich hätte ich ihn einfach erschossen. Jetzt konnte ich nur mein Leben retten.
    Ich schaltete das Licht aus und öffnete die Vordertür. Ich zitterte ohne meine Jacke. Es war eine kalte Nacht. Ich schlich auf die Baumreihe zu, wo der Lette mich hatte hin richten wollen, und verbarg mich in einem Gebüsch.
    Der Weingarten war vom Schein der Schnellbrenner hell erleuchtet. Einige Männer waren damit beschäftigt, die Kar ren mit den Brennern auf und ab durch die Furchen an Posi tionen zu schieben, die sie offenbar für wichtig hielten. Von meinem Versteck aus sahen ihre langen Flammen wie riesige Leuchtkäfer aus, die sich langsam durch die Luft bewegten. Es schien so, als müsse ich einen anderen Weg wählen, um von Nebes Anwesen zu flüchten.
    Ich kehrte zum Haus zurück und bewegte mich behutsam an der Wand entlang, an der Küche vorbei in Richtung auf den Vorgarten. Im Erdgeschoß brannte kein Licht, doch der Widerschein eines erleuchteten Fensters im Obergeschoß lag wie ein großes rechteckiges Schwimmbecken auf dem Rasen. Ich blieb an der Hausecke

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