Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Lindens Gründe, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, rein persönlich und gewinn süchtig waren. Und warum hätten sie ihm auch mißtrauen sollen? Seine Glaubwürdigkeit war unbestreitbar. Trotzdem, ich denke, daß ihnen an all diesen neuen SS-Mitgliedern und Parteiakten etwas auffiel: daß wir dieselben Initialen benutz ten wie unsere alten Identitäten; das ist ein alter Trick, wenn man eine neue Legende aufbaut. Sorgt dafür, daß man sich mit dem neuen Namen wohl er fühlt. Etwas, was man in stinktiv tut, wie einen Vertrag mit seinen Initialen versehen, birgt kein Risiko mehr. Ich glaube, die Drexlers müssen diese neuen Namen mit den Namen von Kameraden verglichen haben, die vermißt oder für tot gehalten wurden und Linden vorgeschlagen haben, die Details einer vorhandenen Akte über Alfred Nolde mit denen der Akte über Arthur Nebe zu vergleichen, und dasselbe bei Heinrich Müller und Heinrich Moltke, Max Abs und Martin Albers und so weiter.»
« Und darum wurden die Drexlers umgebracht.»
« Genau. Das passierte, nachdem Linden hier in Wien auf getaucht war und mehr Geld gewollt hatte. Schweigegeld. Es war Müller, der sich mit ihm traf und der ihn umbrachte. Aus einem ganz einfachen Grund wußten wir, daß Linden bereits Kontakt mit Becker aufgenommen hatte: Linden hatte es uns selber erzählt. Also beschlossen wir, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zuerst plazierten wir einen großen Vorrat an Zigaretten in dem Lagerhaus, in dem Linden getötet wurde, um Becker zu belasten. Dann ging König zu Becker und erzählte ihm, Linden sei verschwunden. Wir wollten erreichen, daß Becker anfing, sich überall nach Lin den zu erkundigen, in seinem Hotel nach ihm fragte und sich überhaupt auffällig benahm. Zur seI ben Zeit vertauschte Kö nig die Revolver von Müller und Becker. Dann informierten wir die Polizei, Becker habe Linden erschossen. Es war ein unerwartetes Geschenk für uns, daß Becker bereits wußte, wo Lindens Leiche war und daß er, in der Absicht, sich die Zigaretten unter den Nagel zu reißen, an den Ort des Verbre chens zurückkehrte. Dort warteten natürlich die Amis auf ihn und ertappten ihn auf frischer Tat. Der Fall war wasser dicht. Trotzdem, wären die Amis auch nur halbwegs ausge schlafen gewesen, hätten sie die Verbindung zwischen Becker und Linden in Berlin entdeckt. Aber ich glaube, daß sie sich gar keine Mühe machten, mit ihren Nachforschungen über Wien hinauszugehen. Sie sind mit dem zufrieden, was sie haben. Bis jetzt dachten wir das wenigstens.»
«Wenn Linden soviel wußte, warum war er nicht so vor sichtig, bei jemandem einen Brief zu hinterlegen? Damit im Falle seines Todes die Polizei über den wahren Sachverhalt informiert werden konnte? »
«Oh, er war sehr wohl vorsichtig », sagte Nebe. «Bloß daß der Anwalt, den er sich in Berlin aussuchte, ausgerechnet ebenfalls Mitglied der Org war. Nach Lindens Tod las er den Brief und leitete ihn an den Chef der Berliner Sektion wei ter.» Nebe sah mich fest an und nickte ernst.
«Das war's, Berni. Müller will raus kriegen, ob du das weißt oder ob du's nicht weißt. Also, jetzt, wo du's weißt, kannst du's ihm sagen und es dir ersparen, gefoltert zu wer den. Natürlich wäre es mir lieber, wenn diese Unterhaltung ein Geheimnis bliebe.»
«Solange ich lebe, Arthur, darauf können Sie sich verlas sen. Und ich danke Ihnen.» Ich spürte, daß meine Stimme ein wenig brüchig wurde. «Ich weiß es zu schätzen.»
Nebe nickte anerkennend und blickte sich unbehaglich um. Dann fiel sein Blick auf das Stück Strudel, das ich nicht angerührt hatte.
«Hatten Sie keinen Hunger? »
«Ich habe keinen großen Appetit», sagte ich. «Es geht mir einiges im Kopf herum, schätze ich. Geben Sie Rainis den Kuchen.» Ich zündete meine dritte Zigarette an.
Irrte ich mich, oder hatte er sich wirklich die Lippen ge leckt? Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Aber es war einen Versuch wert.
« Oder bedienen Sie sich, wenn Ihnen danach ist.» «Darf ich? » fragte er höflich.
Ich nickte gleichmütig.
«Gut, wenn Sie meinen», sagte er und nahm den Teller vom Tablett auf dem Boden. «Meine Haushälterin hat ihn gebacken. Sie hat früher bei Demel gearbeitet. Der beste Strudel, den Sie je im Leben gekostet haben. Es wäre ein Jam mer, ihn verkommen zu lassen, wie? » Er nahm einen großen Bissen.
«Ich hatte nie eine Schwäche für Süßes», log ich.
«Das ist in Wien beinahe tragisch, Berni. Was Kuchen an geht, ist Wien von
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