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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Sicht der Ge sellschaft Lügen strafte. Und am Beispiel von Berlin, das durch die Vermessenheit der Männer zerstört worden war, konnte man die Lektion lernen, daß eine Stadt, wenn der Krieg ausgekämpft ist, die Soldaten tot und die Mauern ein gestürzt sind, aus ihren Frauen besteht.
    Ich schritt auf eine graue Granitschlucht zu, hinter der sich ein übermäßig ausgebeutetes Bergwerk hätte verbergen kön nen, aus dem gerade unter der Aufsicht einer Gruppe von Trümmerfrauen ein Zug steinbeladener Loren auftauchte. Eine davon trug seitlich die Kreideaufschrift «Keine Zeit für Liebe". Wenn man ihre staubigen Gesichter und ihre Ringer figuren sah, brauchte man daran nicht erinnert zu werden. Aber sie hatten Herzen, so groß wie ihre Armmuskeln.
    Ich schritt lächelnd durch ihre Buhrufe und höhnischen Pfiffe - wo waren meine Hände jetzt, da die Stadt wiederaufgebaut werden mußte? -, schwenkte meinen Krückstock wie einen Krankenschein und setzte meinen Weg zur Pestalozzi straße fort. Friedrich Korsch (ein alter Freund aus meiner Zeit bei der Kripo und jetzt Kommissar bei der von Kommu nisten beherrschten Berliner Polizei) hatte mir gesagt, dort könne ich Emil Beckers Frau finden. Nummer 21 war ein be schädigtes fünfstöckiges Gebäude, in dessen Hausflur, wo es durchdringend nach verbranntem Toast roch, ein Schild an gebracht war, das warnte: « Unsichere Treppe! Benutzung auf eigene Gefahp>. Zum Glück verrieten mir die Namen und Wohnungsnummern, die mit Kreide auf die Wand im Hausflur geschrieben waren, daß Frau Becker im Erdge schoß wohnte. Ich ging durch einen dunklen, naßkalten Flur zu ihrer Tür. Zwischen der Tür und dem Waschbecken auf dem Treppenabsatz löste eine alte Frau große Brocken von Schwämmen von der feuchten Wand und sammelte sie in einem Pappkarton.
    « Sind Sie vom Roten Kreuz?» fragte sie.
    «Nein», sagte ich, klopfte an die Tür und wartete.
    Sie lächelte. «Es ist alles in Ordnung, wissen Sie. Wir sind hier recht gut versorgt.» Friedlicher Irrsinn lag in ihrer Stimme.
    Ich klopfte abermals, dieses Mal lauter, und hörte ein ge dämpftes Geräusch und dann Riegel, die an der Innenseite der Tür zurückgeschoben wurden.
    «Wir leiden keinen Hunger», sagte die alte Frau. «Der Herr sorgt für uns.» Sie deutete auf die Schwämme in ihrem Karton. «Sehen Sie. Hier wachsen sogar frische Pilze.» Und als sie das sagte, löste sie ein Stück Schwamm von der Wand und aß es.
    Als sich die Tür schließlich öffnete, war ich vor Abscheu einen Augenblick nicht in der Lage zu sprechen. Frau Becker, die alte Frau erblickend, stieß mich beiseite, trat energisch in den Flur und verscheuchte die Alte unter lauten Beschimp fungen.

    «Schmieriges altes Luder», murmelte sie. «Kommt immer in dieses Haus und ißt diesen alten Modder. Die Frau ist ver rückt. Sie spinnt totaL»
    «Kein Zweifel, sie hat was gegessen », sagte ich, von Ekel geschüttelt.
    Frau Becker fixierte mich mit einem messerscharfen Blick aus ihren bebrillten Augen.
    « Und wer sind Sie und was wollen Sie?» fragte sie barsch. «Mein Name ist Bernhard Gunther ... », setzte ich an. «Hab von Ihnen gehört», knurrte sie. « Sie waren bei der Kripo.»
    « Stimmt.»
    « Sie kommen besser rein.» Sie folgte mir in das eiskalte Wohnzimmer, schloß krachend die Tür und schob die Riegel vor, als habe sie vor etwas Todesangst. Als sie bemerkte, daß mich das verblüffte, fügte sie erklärend hinzu: « Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein.»
    «Nein, wirklich nicht.»
    Ich warf einen Blick auf die ekelhaften Wände, den abge tretenen Teppich und die alten Möbel. Es war nicht viel, aber es war peinlich sauber. Gegen die Feuchtigkeit konnte sie we nig ausrichten.
    « Charlottenburg ist gar nicht so schlecht dran », sagte ich, um sie zu besänftigen, «verglichen mit anderen Bezirken.»
    « Kann schon sein », erwiderte sie, « aber ich kann Ihnen sagen, wären Sie nach Einbruch der Dunkelheit gekommen und hätten wie ein Verrückter geklopft, ich hätte nicht auf gemacht. Nachts haben wir hier alle Arten von Ratten.» Mit diesen Werten nahm sie eine große Sperrholzplatte vom Sofa, und ich dachte einen Augenblick, sie arbeite an einem Puzzle. Dann sah ich zahlreiche Päckchen Olleschau-Zigarettenpa pier, die Beutel mit Zigarettenstummeln, die Haufen von wiederverwertetem Tabak und die aufgereihten Neugedreh ten.

    Ich setzte mich auf die Couch, nahm meine Winstons her aus und bot ihr eine an.
    « Danke», sagte

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