Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
ich drei Jahre auf diesen Mann gewartet habe. Alle diese anderen Männer, die ich abwies. Ich sparte mich für ihn auf, und was ist dabei rausgekommen ?» Ihr schien ein Gedanke zu kommen. «Da haben Sie Ihren Beweis, daß er spionierte, wenn Sie einen brauchen. Wie hat er es fertiggebracht, entlassen zu werden, he? Beantworten Sie mir die Frage. Wieso kam er nach Hause, wo so viele andere immer noch dort sind? »
Ich stand auf, um zu gehen. Vielleicht war es die Situation mit meiner eigenen Frau, daß ich mehr dazu neigte, Beckers Partei zu ergreifen. Doch ich hatte genug gehört, um zu be greifen, daß er alle Hilfe brauchen würde, die er kriegen konnte - möglicherweise noch mehr, wenn diese Frau etwas mit der Sache zu tun hatte.
Ich sagte: «Ich war selber in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager, Frau Becker. Zugegeben, nicht so lange wie Ihr Mann, Frau Becker. Es hat mich nicht zum Spion ge macht. Ich bin vielleicht ein Glückspilz, aber kein Spion.» Ich ging zur Tür, öffnete sie und zögerte. «Soll ich Ihnen sa gen, was für mich dabei rauskam ? Ich war nirgendwo mehr willkommen: nicht bei den Leuten, bei der Polizei, bei Leu ten wie Ihnen, Frau Becker, bei Leuten wie meiner eigenen Frau, die mich, seit ich zurück bin, kaum noch an sich ran gelassen hat. Das hat mir das Lager eingebracht: daß ich nir gendwo mehr willkommen war.»
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Man sagt, daß ein hungriger Hund sogar eine dreckige Blut wurst frißt. Aber der Hunger wirkt sich nicht bloß auf die hygienischen Maßstäbe aus. Er schwächt auch den Verstand, macht das Gedächtnis stumpf - vom sexuellen Verlangen ganz zu schweigen - und erzeugt im allgemeinen ein Gefühl von Teilnahmslosigkeit. Darum war ich nicht überrascht, daß es im Laufe des Jahres 1947 ein paar Situationen gege ben hatte, wo ich, als meine Aufmerksamkeit durch den Mangel an Nahrung reduziert war, fast Opfer eines Ver kehrsunfalles geworden wäre. Das war genau der Grund, warum ich beschloß, über meine augenblickliche, ziemlich irrationale Neigung nachzudenken, nur um einen vollen Ma gen zu haben, und Beckers Fall schließlich doch übernahm.
Das Hotel Adlon, früher Berlins feinste und berühmteste Adresse, war jetzt kaum mehr als eine Ruine. Irgendwie blieb es für Gäste geöffnet und verfügte über vierzehn Zimmer, die, weil das Hotel im sowjetischen Sektor lag, in der Regel von russischen Offizieren bewohnt wurden. Im KeIlerge schoß wurde ein kleines Restaurant nicht nur weitergeführt, sondern es machte auch flotte Geschäfte, weil es Deutschen mit Lebensmittelkarten vorbehalten blieb, die dort speisen konnten, ohne befürchten zu müssen, daß man sie wegen wohlhabenderer Briten oder Amerikaner von den Tischen vertrieb, wie es in den meisten anderen Berliner Restaurants geschah.
Der behelfsmäßige Eingang des Adlon lag unter einem Haufen Geröll an der Wilhelmstraße, nur ein kurzes Stück vom Führerbunker entfernt, wo Hitler den Tod gefunden hatte. Wollte man ihn besichtigen, brauchte man den Polizi sten, die die Leute angeblich vom Bunker fernhalten sollte, bloß ein paar Zigaretten in die Hand zu schieben. Alle Berli ner Polypen hatten seit Kriegsende einen Nebenberuf.
Ich nahm ein spätes Mittagessen ein, bestehend aus Lin sensuppe, Rübenfrikadelle und Dosenfrüchten; und nach dem ich Beckers Problem mit frisch gestärktem Hirn über dacht hatte, gab ich meine Lebensmittelabschnitte ab und ging zur Rezeption, um zu telefonieren.
Mein Anruf bei der sowjetischen Militärbehörde in Karls horst funktionierte ziemlich rasch, doch es schien eine Ewig keit zu dauern, bis ich mit Oberst Poroschin verbunden wurde. Auch die Tatsache, daß ich Russisch sprach, schien den Vorgang nicht zu beschleunigen, sondern trug mir nur einen argwöhnischen Blick des Hotelportiers ein. Als ich Po roschin endlich an der Strippe hatte, schien er echt erfreut, daß ich meine Meinung geändert hatte, und sagte mir, ich solle am Stalinbild Unter den Linden warten, wo sein Dienst wagen mich in fünfzehn Minuten abholen werde.
Der Nachmittag hatte begonnen, schwierig zu werden, und ich stand zehn Minuten lang in der Tür des Adlon, ehe' ich über die kleine Treppe des Lieferanteneingangs auf der Wilhelmstraße zurückkehrte. Dann ging ich, im Rücken das Brandenburger Tor, auf das haushohe Bild des Genossen Vorsitzenden zu, das, flankiert von zwei kleineren Säulenplat ten, die Hammer und Sichel trugen, die Mitte der Allee be herrschte. Während ich auf den Wagen wartete, schien
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