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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Stalin mich zu beobachten, ein Gefühl, das beabsichtigt war, wie mir schien: Die Augen waren so unergründlich, schwarz und unangenehm wie das Innere eines Knobelbechers, und das Lä cheln unter dem Schnauzbart war knochenharter Dauerfrost. Es verblüffte mich immer, daß es Leute gab, die dieses mör derische Ungeheuer «Onkel Joset» nannten: Mir kam es so onkelhaft vor wie König Herodes. Poroschins Wagen näherte sich, und das Motorengeräusch wurde vom Lärm einer Staffel von Jak-3-Kampfflugzeugen übertönt, die über unsere Köpfe flogen. Ich stieg ein und sackte hilflos in den Rücksitz, als der breitschultrige Fahrer mit einem Tatarengesicht den BMW beschleunigte und dem Alexanderplatz zuraste, weiter über die Frankfurter Allee nach Karlshorst.
    «Ich dachte immer, es wäre deutschen Zivilisten verboten, in Dienstwagen zu fahren », sagte ich auf russisch zum Fahrer. «Stimmt», sagte er, «aber der Oberst meinte, wenn wir angehalten würden, brauchte ich bloß zu sagen, Sie seien ver haftet.»
    Der Tatar lachte dröhnend, als er mein unverkennbar ent setztes Gesicht sah, und ich konnte mich bloß mit der Tatsa che trösten, daß es bei der Geschwindigkeit, mit der wir fuh ren, unwahrscheinlich war, daß uns etwas anderes würde aufhalten können als eine Panzerabwehrkanone.
    Minuten später erreichten wir Karlshorst.
    Karlshorst, eine Villenkolonie mit einer Bahn für Hinder nisrennen, trug jetzt den Spitznamen «der kleine Kreml» und war eine völlig isolierte russische Enklave, die Deutsche nur mit einer Sondererlaubnis betreten konnten. Oder mit einem Stander auf der Motorhaube, wie ihn Poroschins Wa gen aufwies. Wir wurden durch zahlreiche Kontrollpunkte durchgewinkt und fuhren schließlich vor dem alten St.-Anto nius-Krankenhaus in der Zeppelinstraße vor, das jetzt die So wjetische Militärverwaltung für Berlin beherbergte. Der Wa gen kam knirschend im Schatten einer fünf Meter hohen Säulenwand zum Stehen, auf der ein großer roter Sowjetstern prangte. Poroschins Fahrer sprang aus dem Auto, öffnete schneidig meine Tür und geleitete mich, ohne die Wachtpo sten zu beachten, die Treppe hinauf zur Eingangstür. Im Ein gang blieb ich einen Augenblick stehen und musterte die brandneuen BMWs und Motorräder auf dem Parkplatz.
    « Ist jemand einkaufen gewesen?» fragte ich.
    « Aus der BMW-Fabrik in Eisenach », sagte mein Fahrer stolz. « Jetzt russisch.»
    Er ließ mich mit dieser deprimierenden Vorstellung in einem Wartezimmer zurück, das durchdringend nach Karbol roch. Die einzige Konzession des Raumes an Schmuck be stand in einem weiteren Stalinbild, unter dem die Parole zu lesen war: Stalin, der weise Lehrer und Beschützer der Arbei terklasse. Selbst Lenin, dessen Porträt in einem kleineren Rahmen neben dem des weisen Führers hing, schien, nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, mit dieser Aussage Schwierigkeiten zu haben. Ich begegnete diesen beiden Ge sichtern an den Wänden von Poroschins Büro im Ober geschoß des Gebäudes wieder. Die perfekt gebügelte oliv braune Uniformjacke hing an der Innenseite der Glastür. Er trug ein Tscherkessenhemd, das von einem schwarzen Gürtel zusammengehalten wurde. Wäre nicht der Glanz auf seinen Stiefeln aus weichem Kalbsleder gewesen, er hätte auch als Student der Moskauer Universität durchgehen können. Er setzte seinen Becher ab und erhob sich hinter seinem Schreib tisch, als der Tatar mich in sein Büro führte.
    « Nehmen Sie bitte Platz, Herr Gunthep>, sagte Poroschin und deutete auf einen Stuhl aus der Gründerzeit. Der Tatar wartete darauf, entlassen zu werden. Poroschin hob seinen Becher, damit ich seinen Inhalt sehen konnte. « Möchten Sie etwas Ovomaltine, Herr Gunther? »
    « Ovomaltine? Nein, danke, ich hasse das Zeug.» « Wirklich?» Er schien überrascht. « Ich liebe es.»
    « Ist noch ein bißehen früh, um ans Insbettgehen zu den ken, oder? »

    Poroschin lächelte geduldig. «Vielleicht hätten Sie lieber Wodka.» Er öffnete seine Schreibtischschublade, nahm eine Flasche und ein Glas heraus und stellte sie vor mich auf den Tisch.
    Ich schenkte mir ein großes Glas ein. Aus dem Augenwin kel sah ich, daß der Tatar sich vor Durst die Lippen leckte. Auch Poroschin sah es. Er füllte ein zweites Glas und stellte es auf den Aktenschrank unmittelbar neben den Kopf des Mannes.
    «Sie müssen diese Kosakenflegel wie Hunde dressieren », erklärte er. «Für sie ist Trunkenheit eine beinahe religiöse Sache. Ist das so,

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