Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
leichter wird, in diese Stadt hineinzukommen, geschweige denn aus ihr raus. Schließlich haben Sie Berlin mit der Hälfte Ihrer Roten Armee eingekes selt. Und ganz abgesehen von den normalen Reisebeschrän kungen in bezug auf Deutsche, scheint sich die Lage in den letzten Wochen ziemlich verschlechtert zu haben, selbst für Ihre sogenannten Alliierten. Und angesichts so vieler Ver schleppter, die versuchen, illegal nach Österreich einzurei sen, sind die Österreicher ganz glücklich, daß man hier nie manden zum Reisen ermutigt. In Ordnung. Das ist der höf liche Grund.»
« Aber das ist doch kein Problem », sagte Poroschin aal glatt. « Für einen alten Freund wie Emil ziehe ich gern ein paar Fäden: Eine Reiseberechtigung, ein Paß von uns, Fahr karten - das läßt sich alles leicht beschaffen. Sie können sich darauf verlassen, daß ich alle notwendigen Dinge erledige.»
« Nun, ich schätze, das ist der zweite Grund, warum ich's nicht tun werde. Der weniger höfliche Grund. Ich traue Ihnen nicht, Oberst. Warum sollte ich? Sie sprechen davon, ein paar Fäden zu ziehen, um Emil zu helfen. Aber Sie könn ten genausogut ein paar andere ziehen. Auf Ihrer Seite des Zauns sind die Dinge ziemlich unkalkulierbar. Ich kenne einen Mann, der aus dem Krieg heimkehrte und feststellte, daß Funktionäre der Kommunistischen Partei in seinem Haus wohnten - Funktionäre, für die nichts einfacher war, als ein paar Fäden zu ziehen, um ihn in ein Irrenhaus einwei sen zu lassen, genauso, wie sie sich ein Haus angeeignet hat ten.
Und erst vor einem Monat oder zwei ließ ich ein paar Freunde von mir in einer Bar in Ihrem Sektor der Stadt zu rück, bloß um später zu erfahren, daß Minuten nach meinem Aufbruch sowjetische Streitkräfte das Haus umstellt und je dem Gast in der Bar zu ein paar Wochen Zwangsarbeit ver holfen hatten. Ich wiederhole noch einmal, Oberst: Ich traue
Ihnen nicht und sehe keinen Grund, warum ich's tun sollte. Nach allem, was ich weiß, könnte ich in dem Augenblick ver haftet werden, in dem ich Ihren Sektor betrete.»
Poroschin lachte laut. «Aber warum sollte man Sie verhaf ten? »
«Mir ist nie aufgefallen, daß Sie dafür einen besonderen Grund gebraucht hätten.» Ich zuckte aufgebracht die Ach seln. «Vielleicht, weil ich Privatdetektiv bin. Für den KGB ist das ebensogut, als wäre ich ein amerikanischer Spion. Ich glaube, das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen, das Ihre Leute von den Nazis übernommen haben, ist inzwi schen voll von Deutschen, die man beschuldigt, sie hätten für die Amerikaner spioniert.»
«Gestatten Sie mir eine kleine hochmütige Bemerkung, Herr Gunther: Glauben sie im Ernst, ich, ein KGB-Oberst, hielte Ihre Täuschung und Verhaftung für wichtiger als die Anwesenheit im Alliierten Kontrollrat? »
«Sie sind ein Mitglied der Kommandantura ?» Ich war überrascht.
«Ich habe die Ehre, Nachrichtenoffizier des Stellvertreten den Sowjetischen Militärgouverneurs zu sein. Sie können sich im Hauptquartier des Rates in der EIßholzstraße erkun digen, wenn Sie mir nicht glauben.» Er machte eine Pause und wartete auf eine Reaktion von mir. «Kommen Sie. Was sagen Sie?»
Als ich noch immer nichts sagte, seufzte er und schüttelte den Kopf. «Ich werde euch Deutsche nie verstehen.»
«Sie sprechen die Sprache gut genug. Vergessen Sie nicht, Marx war ein Deutscher.»
«Ja, aber er war auch Jude. Ihre Landsleute haben zwölf Jahre versucht, zu beweisen, daß diese beiden Umstände ein ander ausschließen. Das ist eine der Sachen, die ich nicht ver stehe. Ändern Sie Ihre Meinung? »
Ich schüttelte den Kopf. <
Nichts deutete darauf hin, daß der Oberst über meine Wei gerung verärgert war. Er blickte auf seine Uhr und stand auf.
«Ich muß gehen", sagte er. Er nahm ein Notizbuch heraus und begann auf einem Blatt Papier zu schreiben. «Sollten Sie Ihre Meinung ändern, können Sie mich unter dieser Nummer in Karlshorst erreichen. SS-16-44. Fragen Sie nach General Kawerntschews Sicherheitsabteilung. Und hier haben Sie auch meine private Nummer: 05-00-19."
Poroschin lächelte und deutete auf den Zettel, als er ihn mir reichte. «Sollten Sie von den Amerikanern verhaftet wer den, würde ich sie diesen Zettel nicht sehen lassen. Sie wer den wahrscheinlich glauben, daß Sie ein Spion sind."
Als er die Treppe hinunterging, lachte er immer noch.
5
Für jene, die an das Vaterland geglaubt hatten, war es nicht die Niederlage, welche diese patriarchalische
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