Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
überra schen.»
Neumann lächelte und deutete auf den Geldschein, den ich in meine Brieftasche zurücksteckte. «Für Fünf Dollar könnte ich Ihnen alles erzählen, was ich darüber weiß.»
«Keine heiße Luft.» Er nickte, und ich warf ihm den Schein hin. «Ich hoffe, es ist was dran.»
«Pullach ist ein kleiner Vorort von München. Dort ist auch die Zentrale der Behörde für Postzensur der US-Armee. Die Post für alle GIs in Tegel muß da durch.»
«Ist das alles?» - «Was wollen Sie, die durchschnittliche Niederschlagsmenge ? »
« In Ordnung, ich bin nicht sicher, was ich damit anfangen kann, aber trotzdem vielen Dank.»
«Ich könnte mich mal nach diesem Eddy Holl umhören.» «Warum nicht? Morgen fahre ich nach Wien. Wenn ich dort bin, werde ich Ihnen die Adresse telegrafieren, unter der ich erreichbar bin für den Fall, daß Sie was rausfinden. Be zahlung bei Lieferung.»
«Herrje, ich wünschte, ich könnte nach Wien fahren. Ich liebe die Stadt.»
«Ich habe gar nicht gewußt, was für ein Kosmopolit Sie sind, Neumann. »
«Ich nehme nicht an, daß Sie Lust haben, ein paar Briefe mitzunehmen, wenn Sie nach Wien fahren, oder? Ich habe ein paar Österreicher auf meinem Stockwerk.»
«Was? Für Kriegsverbrecher den Postboten spielen? Nein danke.»
Ich trank aus und sah auf meine Uhr. «Glauben Sie, daß sie noch kommt, Ihr Mädchen?» Ich stand auf, um zu gehen. «Wie spät ist es?» sagte er stirnrunzelnd.
Ich zeigte ihm das Zifferblatt meiner Rolex. Mehr oder weniger war ich entschlossen, sie nicht zu verkaufen. Neu mann seufzte, als er die Uhrzeit sah.
«Ich nehme an, sie wurde aufgehalten », sagte ich.
Er schüttelte traurig den Kopf. «Jetzt wird sie nicht mehr kommen. Frauen.»
Ich gab ihm eine Zigarette. «Die einzige Frau, der man heutzutage trauen kann, ist die Frau eines anderen Mannes.» «Es ist eine verdorbene Welt, Herr Gunther.»
«Ja, schon, aber erzählen Sie's nicht weiter.»
10
Im Zug nach Wien traf ich einen Mann, der sich über das ausließ, was wir den Juden angetan hatten.
«Sehen Sie», sagte er, «an dem, was geschah, kann man uns nicht die Schuld geben. Es war vorherbestimmt. Wir ha ben bloß die Prophezeiung ihres Alten Testaments erfüllt: die von Joseph und seinen Brüdern. Nehmen Sie Joseph, den jüngsten und verwöhntesten Sohn eines autoritären Vaters und damit das Symbol für die ganze jüdische Rasse. Und dann sind ja die anderen Brüder, die allesamt Symbole für Nicht juden sind. Aber wir wollen annehmen, daß sie Deut sche sind und natürlich neidisch auf den kleinen Hätschel jungen. Er sieht besser aus als sie. Er hat einen vielfarbigen Mantel. Mein Gott, kein Wunder, daß sie ihn hassen. Kein Wunder, daß sie ihn in die Sklaverei verkaufen. Aber der wichtigste Punkt, auf den man hinweisen muß, ist die Tatsa che, daß die Taten der Brüder sowohl eine Reaktion auf einen strengen und autoritären Vater - ein Vaterland, wenn Sie wollen - als auch auf einen offensichtlich überprivilegier ten Bruder sind.» Der Mann zuckte die Achseln und begann nachdenklich das Läppchen eines seiner fragezeichenförmi gen Ohren zu kneten. «Wirklich, wenn die Juden richtig dar über nachdenken, sollten sie uns dankbar sein.»
«Wie haben Sie sich das ausgedacht?» fragte ich und glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.
«Hätte es die Tat von Josephs Brüdern nicht gegeben, wä ren die Kinder Israels nie in die ägyptische Gefangenschaft geraten, niemals von Moses in das Gelobte Land geführt worden. Hätte es - entsprechend - die Taten der Deutschen nicht gegeben, wären die Juden nie nach Palästina zurückge gangen. Gerade jetzt sind sie kurz davor, einen neuen Staat zu gründen.» Die kleinen Augen des Mannes verengten sich, als sei er einer der wenigen, denen ein rascher Blick in Gottes Notizbuch vergönnt gewesen war. «0 ja», sagte er, «es war eine erfüllte Prophezeiung, 0 ja.»
«Ich weiß von keiner Prophezeiung», knurrte ich und deu tete mit dem Daumen auf das Bild, das am Wagenfenster vor überglitt: ein scheinbar endloser Konvoi der Roten Armee, der sich auf der Autobahn, parallel zur Eisenbahnlinie, nach Süden bewegte, «aber es sieht mit Sicherheit so aus, als en deten wir im Roten Meer.»
Das war eine treffende Bezeichnung für diese unendliche Kolonne primitiver, alles fressender roter Ameisen, die das Land verwüsteten und alles, was sie tragen konnten, an sich rafften - mehr als ihr eigenes Körpergewicht -, um es zu ihren provisorischen,
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