Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
von Arbeitern in Gang gehaltenen Ko lonien zu schaffen. Und wie bei einem brasilianischen Pflan zer, dessen Kaffee-Ernte von diesen Kreaturen vernichtet worden war, wurde mein Haß auf die Russen durch ein ebenso großes Maß an Respekt gemildert. Sieben lange Jahre hatte ich gegen sie gekämpft, sie getötet, war von ihnen ge fangengenommen worden, hatte ihre Sprache gelernt und war schließlich aus einem ihrer Arbeitslager geflohen. Sieben magere Getreideähren, hergeweht vom Ostwind, verzehrten die sieben guten Ähren.
Bei Ausbruch des Krieges war ich Kriminalkommissar bei der Abteilung 5 des Reichssicherheitshauptamtes gewesen und hatte damit automatisch den Rang eines Obersturmfüh rers der SS. Abgesehen vom Treueeid auf Hitler, hatte mein SS-Rang kein großes Problem bedeutet; bis zum Juni 1942,
als Arthur Nebe, vorher Direktor der Reichskriminalpolizei und jetzt zum SS-Gruppenführer befördert, im Zuge des Ein marsches nach Rußland den Befehl über eine Kampfeinheit erhielt.
Ich war lediglich einer der vielen Polizeibeamten, die zu Nebes Einheit abkommandiert wurden und deren Auftrag, wie ich glaubte, darin bestand, der Wehrmacht in das be setzte Weißrußland zu folgen und Gesetzesbrüche und Terro rismus jeder Art zu bekämpfen. Meine Aufgabe im Minsker Hauptquartier der Einheit hatte darin bestanden, die Akten des russischen NKWD zu beschlagnahmen und die NKDW Todesschwadron gefangenzunehmen, die Hunderte politi sche Gefangene abgeschlachtet hatte, um zu vermeiden, daß diese von der deutschen Armee befreit wurden. Aber bei je der Art von Eroberungsfeldzug breitet sich Massenmord aus, und bald wurde mir klar, daß auch unsere Seite willkürlich russische Gefangene umbrachte. Dann folgte die Entdek kung, daß die Hauptaufgabe der Sondereinheiten nicht in der Ausschaltung von Terroristen bestand, sondern in der sy stematischen Ermordung der jüdischen Zivilbevölkerung.
Während meiner vier Dienstjahre sah ich niemals etwas, das mich seelisch so aufwühlte wie die Vorgänge, deren Zeuge ich im Sommer 1941 wurde. Obgleich ich nicht per sönlich mit der Aufgabe betraut wurde, einer dieser Einhei ten zu befehligen, welche die Massenhinrichtungen durch führten, kam ich zu dem Schluß, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, ehe ich einen solchen Befehl erhielt und, als unvermeidliche Folge, bei Befehlsverweigerung erschossen werden würde. Also ersuchte ich um sofortige Versetzung zur Wehrmacht an die Front.
Als Kommandierender General der Sondereinheit hätte Nebe mich in ein Strafbataillon schicken können. Er hätte mich sogar hinrichten lassen können. Statt dessen stimmte er meinem Gesuch um Versetzung zu, und nach vielen weiteren Wochen in Weißrußland, die ich beim Nachrichtendienst General Gehlens Fremde Heere Ost mit der Sichtung der erbeu teten NKWD-Akten verbrachte, wurde ich versetzt, jedoch nicht an die Front, sondern in das Büro für Kriegsverbrecher des Militärischen Oberkommandos in Berlin. Zu diesem Zeitpunkt hatte Arthur Nebe persönlich die Ermordung von mehr als dreißigtausend Männern, Frauen und Kindern be aufsichtigt.
Nach meiner Rückkehr nach Berlin sah ich ihn nicht wie der. Jahre darauf traf ich einen alten Freund von der Kripo, der mir erzählte, daß Nebe, immer ein Nazi mit Zweifeln, Anfang 1945 als einer der Mitverschwörer des Kreises um den Grafen Stauffenberg hingerichtet worden sei.
Es vermittelte mir immer ein seltsames Gefühl, zu wissen, daß ich mein Leben sehr wahrscheinlich einem Massenmör der verdankte. Zu meiner großen Erleichterung stieg der Mann mit der sonderbaren Interpretationstheorie in Dresden aus, und ich schlief bis Prag. Aber die meiste Zeit dachte ich an Kirsten und an die kurz angebundene Nachricht, die ich ihr hinterlassen hatte. Ich schrieb, ich werde einige Wochen weg sein, und erklärte ihr, in der Wohnung befänden sich Goldmünzen, welche die Hälfte meines Honorars für die Übernahme des Falles Becker darstellten. Poroschin hatte sich die Mühe gemacht, sie am Tag zuvor persönlich abzulie fern.
Es tat mir jetzt leid, daß ich nicht mehr geschrieben hatte, daß ich es versäumt hatte, zu schreiben, es gebe nichts, was ich für sie nicht tun würde, keine Herkulesarbeit, die ich ihr zuliebe nicht mit Freuden ausführen würde. Natürlich wußte sie das alles, denn es stand in dem Päckchen vorzüglich stili sierter Briefe, die sie in ihrer Schublade aufbewahrte. Neben dem Fläschchen ChaneI, das sie nicht erwähnte.
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Die
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