Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Doch bei dieser bestimmten Gelegenheit konnte ich Liebl ein bißchen mehr erzählen.
«Königs Freundin, Lotte, ist wieder in Wien», sagte ich. «Sie ist also endlich aus ihrem Skiurlaub zurück?»
«Es sieht so aus.»
«Aber Sie haben sie noch nicht gefunden.»
«Jemand, den ich aus dem Casanova Club kenne, hat eine Freundin, die erst vor ein paar Tagen mit ihr gesprochen hat. Sie kann durchaus seit einer Woche oder so zurück sein.» «Eine Woche?» wiederholte Lieb!. «Warum hat es so lange gedauert, das herauszufinden? »
«Diese Dinge brauchen Zeit », sagte ich mit herausfor derndem Achselzucken. Ich hatte Liebls ständiges Ausfragen satt und neuerdings eine kindliche Freude daran, ihn damit aufzuziehen, daß ich eine unübersehbare Unbekümmertheit zur Schau trug.
«Ja », knurrte er, «das sagten Sie bereits.» Es klang nicht überzeugt.
«Es ist nicht so, als ob wir die Adressen dieser Leute hät ten », sagte ich. «Und Lotte Hartmann hat sich seit ihrer Rückkehr nicht im Casanova Club blicken lassen. Das Mäd chen, das mit ihr gesprochen hat, sagte, daß Lotte versucht habe, in den Sieveringer Filmstudios eine kleine Rolle in einem Film zu bekommen.»
«Sievering? Ja, das ist im 19. Bezirk. Das Studio gehört einem Wiener namens Karl Hart!. Er war früher ein Klient von mir. Hart! hat mit allen großen Stars gearbeitet: Pola Ne gri, Lya de Putti, Maria Corda, Wilma Blanky, Lilian Harvey. Haben sie Der Zigeunerbaron gesehen? Nun, das war Hart!.»
«Könnten Sie sich vorstellen, daß er etwas über das Film studio weiß, wo Becker Lindens Leiche fand? »
«Drittemann Film?» Liebl rührte geistesabwesend in sei nem Kaffee. «Wenn es eine renommierte Filmgesellschaft wäre, würde Hart! sie kennen. In der Wiener Filmindustrie passiert nicht viel, von dem Hart! nichts weiß. Aber diese Ge sellschaft war nicht mehr als ein Name auf einem Mietver trag. Tatsächlich wurden dort überhaupt keine Filme ge dreht. Das haben Sie doch überprüft, oder?»
«Ja», sagte ich und erinnerte mich an den ergebnislosen Nachmittag, den ich dort vor zwei Wochen verbracht hatte. Es stellte sich heraus, daß sogar der Mietvertrag erloschen und das Gebäude wieder an den Staat zurückgefallen war. «Sie haben recht. Lindens Tod war das erste und das letzte, was sich dort ereignet hat.» Ich zuckte die Achseln. «War bloß ein Gedanke.»
«Was werden Sie also jetzt tun? »
«Ich werde versuchen, Lotte Hartmann in Sievering auf zuspüren. Das dürfte nicht so schwierig sein. Man bewirbt sich nicht um eine Filmrolle, ohne eine Adresse zu hinterlas sen, unter der man erreichbar ist.»
Liebl schlürfte geräuschvoll seinen Kaffee und tupfte sich dann säuberlich mit einem Taschentuch, groß wie ein Vorse gel, den Mund ab.
«Bitte verschwenden Sie keine Zeit damit, diese Person aufzustöbern», sagte er. «Es tut mir leid, daß ich Sie so be drängen muß, aber bis wir Herrn Königs Adresse ausfindig machen, haben wir nichts in der Hand. Haben Sie ihn erst einmal aufgespürt, können wir wenigstens versuchen, darauf zu drängen, daß er als ein unentbehrlicher Zeuge aufgerufen wird.»
Ich nickte ergeben. Es gab noch mehr, was ich ihm hätte erzählen können, doch sein Ton ärgerte mich, und jede wei tere Erläuterung hätte Fragen hervorgerufen, die zu beant worten ich einfach noch nicht willens und in der Lage war. Ich hätte ihm, zum Beispiel, von den Dingen berichten kön nen, die ich von Belinsky erfahren hatte im Cafe Schwarzen berg, etwa eine Woche nachdem er meine Haut gerettet hatte - Informationen, über die ich immer noch nachdachte und die ich in einen Zusammenhang zu bringen versuchte. Nichts war so einfach, wie es sich Liebl vielleicht vorstellte.
« Zuallererst die Drexlers», hatte Belinsky erklärt. «Sie waren tatsächlich Nazi-Jäger. Sie überlebte das KZ Maut hausen, während er dem Ghetto in Lodz und dem KZ Ausch witz entkam. Sie begegneten sich nach dem Krieg in einem Krankenhaus vom Roten Kreuz und lebten eine Weile in Frankfurt, bevor sie nach Berlin zogen. Offenbar arbeiteten sie ziemlich eng mit den Leuten von Crowcass und dem Büro des Staatsanwaltes zusammen. Sie verfügten über eine große Zahl von Unterlagen über gesuchte Nazis und verfolgten viele Fälle gleichzeitig. Folglich waren unsere Leute in Berlin nicht imstande, festzustellen, ob sie mit einer Untersuchung beschäftigt waren, die man mit ihrem Tod oder dem von Captain Linden in Verbindung bringen konnte. Die Berliner Polizei
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