Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
die Dinge lagen, sah es so aus, als hätte sie mir in Wirklichkeit sogar mehr Zeit zugestanden. Vielleicht sogar eine volle Stunde. Aber ich war hundemüde, und viel leicht trank ich zuviel von ihrem vorzüglichen Whisky, um sonderlich darauf zu achten, wie sie sich auf die Unterlippe biß und mich unter ihren Schwarze-Witwe-Wimpern an starrte. Ich sollte vermutlich friedlich auf ihrem Bett liegen, den Mund in ihren eindrucksvoll gewölbten Schoß gebettet und mir meine großen Schlappohren kneten lassen, indessen endete es damit, daß ich auf dem Sofa einschlief.
22
Als ich am selben Morgen später aufwachte, kritzelte ich meinen Namen und meine Adresse auf ein Stück Papier, ließ Lotte im Bett weiterschlafen und fuhr mit einem Taxi in meine Pension zurück. Dort wusch ich mich, zog mich um und verzehrte ein großes Frühstück, das viel dazu beitrug, mich wieder auf die Beine zu bringen. Ich las die morgend liche Wien er Zeitung, als das Telefon klingelte.
Ein Mann, dessen Stimme nicht die geringste Spur von Wiener Akzent aufwies, fragte mich, ob er mit Bernhard Gunther spreche. Nachdem ich das bejaht hatte, sagte die Stimme:
«Ich bin ein Freund von Fräulein Hartmann. Sie erzählte mir, daß Sie ihr letzte Nacht freundlicherweise aus einer un angenehmen Situation herausgeholfen haben.»
«Sie ist noch nicht ganz draußen», sagte ich.
«Ganz recht. Ich habe mir gedacht, wir könnten uns tref fen und die Sache besprechen. Fräulein Hartmann erwähnte die Summe von zweihundert Dollar für den russischen Hauptmann. Sie sagte auch, Sie hätten sich angeboten, als ihr Mittelsmann aufzutreten.»
«Habe ich das? Dann wird's wohl so sein.»
«Ich dachte daran, Ihnen die Summe auszuhändigen, da mit Sie sie an diesen gemeinen Burschen weitergeben kön nen. Und ich möchte Ihnen gern persönlich danken.»
Ich war mir sicher, daß König am anderen Ende war, doch ich blieb einen Augenblick stumm, denn ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich sei allzu scharf darauf, ihn kennen zulernen.
« Sind Sie noch da? »
« Welchen Ort schlagen Sie vor?» fragte ich widerstrebend.
« Kennen Sie das Amalienbad am Reumannplatz?» « Ich werd's finden.»
« Sagen wir in einer Stunde? Im Türkischen Bad? »
« In Ordnung. Aber wie soll ich Sie erkennen? Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt.»
«Nein, habe ich nicht», sagte er geheimnisvoll, «aber ich werde diese Melodie pfeifen.» Und er begann sie durchs Te lefon zu pfeifen.
« Bella, bella, bella Marie», sagte ich, als ich eine Melodie erkannte, die vor ein paar Monaten auf ärgerliche Weise überall und immer zu hören war.
« Genau das Lied », sagte der Mann und legte auf.
Eine merkwürdig geheimnistuerische Art des Erkennens, schien mir, aber ich sagte mir, daß der Mann, wenn er König war, gute Gründe hatte, vorsichtig zu sein.
Das Amalienbad lag im 10. Bezirk, im russischen Sektor, ich mußte also mit der Nummer 67 über die Favoritenstraße fahren. Der Bezirk war ein Arbeiterviertel mit vielen schmut zigen alten Fabriken, aber das Städtische Bad am Reumann platz war ein siebengeschossiges Gebäude neueren Datums, das sich, offenbar ohne Übertreibung, als das größte und modernste Bad Europas bezeichnete.
Ich bezahlte für ein Bad und ein Badetuch und machte mich, nachdem ich mich ausgezogen hatte, auf die Suche
nach dem Dampfbad. Es lag am anderen Ende eines Schwimmbeckens, das so groß war wie ein Fußballplatz und in dem sich nur ein paar Wien er aufhielten, die, in ihre Bade laken gehüllt, versuchten, sich ein wenig von dem Gewicht abzuschwitzen, das man in der österreichischen Hauptstadt ziemlich leicht ansetzen konnte. Vom anderen Ende des schmutzig-gelb gekachelten Raumes hörte ich durch den Dampf jemanden mit Unterbrechungen pfeifen. Ich ging den Tönen nach und nahm die Melodie auf, als ich näher kam. Ich stieß auf die sitzende Gestalt eines Mannes mit durchge hend weißer Haut und durchgehend braunem Gesicht: Es sah beinahe so aus, als habe er es geschwärzt wie Al Jolson, aber diese Verschiedenheit der Hautfarbe war natürlich ein Andenken an seinen kürzlichen Skiurlaub.
«Ich hasse diese Melodie », sagte er, «aber Fräulein Hart mann summt sie pausenlos, und mir fiel nichts anderes ein. Herr Gunther? »
Ich nickte vorsichtig, als sei ich nur widerstrebend gekom men.
« Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Kö nig.» Wir schüttelten uns die Hände, und ich setzte mich ne ben ihn. Er war ein
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