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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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arzt mit einem Kübel Schwefelsäure?»
    «Vielleicht weicht er über Nacht seine falschen Zähne darin ein.» Auf einem Brett über dem Zylinder waren zahl reiche nierenförmige Stahlschalen übereinandergestapelt. Ich nahm eine davon in die Hand und hielt sie ins Licht. Beide starrten wir auf etwas, das wie eine Handvoll merkwürdig geformte Pfefferminzbonbons aussah, die alle zusammen klebten, als hätte sie ein angeekelter kleiner Junge halb ge lutscht und dann aufbewahrt. Doch an einigen klebte auch getrocknetes Blut.
    Belinsky verzog angewidert die Nase. «Was zur Hölle sind das für Dinger?»
    «Zähne.» Ich gab ihm die Schale, nahm eines der spitzen weißen Dinger heraus und hielt es ins Licht. «Extrahierte Zähne. Und davon eine ganze Menge.»
    «Ich hasse Zahnärzte», zischte Belinsky. Er fummelte in der Tasche seiner Weste und fand zum Kauen einen seiner Zahnstocher.
    «Ich denke, daß diese Zähne normalerweise in dem Zylin der mit Säure enden.»
    «Ach, ja?» Aber Belinsky hatte mein Interesse bemerkt.
    « Was ist das für ein Zahnarzt, der nichts anderes macht als vollständige Extraktionen?» fragte ich. «Im Termin-Buch ist nichts anderes eingetragen, nur vollständige Extraktionen.» Ich drehte einen Backenzahn zwischen den Fingern. «Würden Sie sagen, daß an diesem Zahn etwas nicht in Ordnung ist? Er hat noch nicht mal eine Füllung.»
    «Sieht wie ein vollkommen gesunder Zahn aus», bestä tigte Belinsky.
    Ich rührte mit dem Zeigefinger in der klebrigen Masse in der Schale. «So wie die übrigen auch», bemerkte ich. «Ich bin kein Zahnarzt, aber ich sehe keinen Sinn darin, Zähne zu ziehen, die noch nicht mal gefüllt sind.»
    «Vielleicht war Heim so eine Art Akkordarbeiter. Viel leicht hatte der Bursche Zähneziehen einfach gern.»
    «Akten hat er jedenfalls nicht gern geführt. Für keinen sei ner letzten Patienten gibt es ein Krankenblatt. »
    Belinsky nahm eine andere Nierenschale in die Hand und untersuchte ihren Inhalt. «Wieder ein vollständiges Gebiß», sagte er. Aber in der nächsten Schale rollte etwas. Es sah aus wie winzige Kügelchen eines Kugellagers. «Na, was haben wir denn hier?» Er nahm eines der Kügelchen in die Hand und inspizierte es fasziniert. «Wenn ich mich nicht sehr irre, enthält jedes dieser kleinen Pralinees eine Dosis Zyankali.»
    «Todespillen ? »
    « Richtig. Sie waren bei einigen Ihrer alten Kameraden sehr beliebt, Kraut. Besonders bei der SS und hohen Parteibonzen, die dann genügend Mumm hatten, sich lieber selber umzu bringen, als von den Iwans gefangengenommen zu werden. Ich glaube, diese Pillen wurden ursprünglich für deutsche Spione entwickelt, aber Arthur Nebe und die SS kamen zu dem Schluß, daß die großen Tiere sie dringender brauchten. Ein Mann ließ sich von seinem Zahnarzt einen falschen Zahn machen oder benutze einen vorhandenen Hohlraum und steckte dann dieses kleine Baby rein. Sauber und ordent lich - Sie wären überrascht. Wenn er gefangengenommen wurde, hatte er vielleicht sogar zum Schein eine Zyanid-Kap sel in seiner Tasche, damit unsere Leute sich gar nicht erst die Mühe machten, seine Zähne zu untersuchen. Und dann, wenn der Mann entschieden hatte, daß die richtige Zeit ge-

    kommen sei, lockerte er den falschen Zahn, holte mit seiner Zunge die Kapsel raus und kaute das Ding, bis es zerbrach. Der Tod tritt fast auf der Stelle ein. Auf diese Weise hat Himmler sich umgebracht.»
    « Göring auch, habe ich gehört.»
    « Nein», sagte Belinsky, «er benutzte eine der Kapseln, die er bei sich trug. Ein amerika ni scher Offizier schmuggelte sie in die Zelle zurück, als Göring im Gefängnis war. Wie gefällt Ihnen das, he? Einer von unseren eigenen Leuten, der bei die sem fetten Schwein weich wurde.» Er ließ die Kapsel wieder in die Schale fallen und gab sie mir zurück.
    Ich schüttelte ein paar Kügelchen in meine Hand, um sie genauer zu betrachten. Es schien beinahe verblüffend, daß etwas, das so klein war, auch so tödlich war. Vier winzige Staubperlen waren der Tod für vier Männer. Ich glaubte nicht, daß ich eine davon im Mund getragen hätte, im fal schen Zahn oder anderswo, und mir trotzdem mein Essen geschmeckt hätte.
    «Wissen Sie, was ich denke, Kraut? Ich denke, daß in Wien eine Menge zahnloser Nazis rumlaufen.» Ich folgte ihm in die Praxis. «Ich nehme an, daß Sie mit den zahnärzt lichen Techniken zur Identifizierung von Toten vertraut sind.»
    «So vertraut wie jeder Bulle.»
    «Diese Technik war uns

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