Bernsteinsommer (German Edition)
„Herrgott!“ Finn hob das zarte Wäschestück vom Boden auf. Er konnte nicht anders und betrachtete es einen Moment lang voller Faszination. Beinahe hätte er dem unwiderstehlichem Drang nachgegeben und daran gerochen, doch die Vorstellung erschien ihm plötzlich so abwegig, dass er es dann doch nicht fertigbrachte. Noch einmal ließ er die zarte Spitze durch seine Finger gleiten, dann legte er den Büstenhalter zum Twinset auf die warme Steinplatte des elektrischen Heizkörpers.
Wieder oben, zog er sich wortlos einen der Tresenhocker heran und setzte sich ihr gegenüber. Es erschien ihm sicherer, den Tresen zwischen sich und Kira zu wissen, denn nun mussteer ständig daran denken, dass sie noch nicht einmal mehr einen Büstenhalter unter seinem Hemd trug. Diese Vorstellung und die Erinnerung an das zarte rosafarbene Wäschestück spannten seine Nerven aufs Äußerste an.
„Tut mir leid“, sagte sie plötzlich in die anhaltende Stille hinein.
„Was? Was tut dir leid?“ Er hustete.
„Du weißt schon, Finn. Die Sache gestern Abend.“ Sie konnte sehen, dass seine Augen noch eine Spur dunkler wurden.
„Ich muss mich entschuldigen“, widersprach er. „Mein Verhalten dir gegenüber war … unverzeihlich. Wir haben uns gerade erst kennengelernt und ich …“
„Äh … ich habe dich … herausgefordert, denke ich. Ich …“
„Hör auf, Kira! Wir vergessen die ganze Sache, okay!“
Der Schmerz traf sie wie ein Dolchstoß. Fast wäre sie zusammengezuckt. Er wollte diesen Kuss vergessen?
„Warum hast du mich geküsst, Finn? So geküsst?“ Ihre Stimme verriet nicht im Mindesten, dass er sie gerade verletzt hatte.
Er sah zu ihr auf, betrachtete eine Weile ihr Gesicht im Ganzen, dann senkte sich sein Blick auf ihren Mund und verweilte dort. Kira erschauerte innerlich und biss sich nervös auf ihre Unterlippe. Finn senkte nur kurz die Lider, um ihr dann sofort wieder in die Augen zu schauen.
„Weil ich es wollte, Kira. Weil ich es in diesem verrückten Augenblick mehr wollte, viel mehr als alles andere, wonach es mich jemals in meinem Leben gelüstet hat“, sagte er schließlich leise. Und es war auch für Kira offensichtlich, dass er die volle Wahrheit sagte.
„Du hast …“ Sie brach ab, entschloss sich dann aber doch fortzufahren, weil es jetzt auch nichts mehr ausmachen würde, ihm gegenüber vollkommen offen zu sein. „Du hast mein Begehren geweckt. Du solltest eine Frau nicht auf diese Weise küssen, wenn du nicht mehr von ihr willst als nur einen netten kleinen Gutenachtkuss. Eigentlich sind es doch üblicherweise die Männer, die uns Frauen stets davor warnen, Begehrlichkeiten zu wecken, oder? Du als Mann solltest doch …“
„Kira, hör auf. Bitte!“ Seine Stimme blieb leise und erstaunlich ruhig. „Der Kuss war ein Fehler. Vergiss ihn!“ Nur weil er jetzt deutlich den Schmerz in ihren Augen sah, stand er auf und ging zu ihr um den Tresen herum. Obwohl es eine weitere Herausforderung für ihn darstellte, sie zu berühren, umfasste er ihre Schultern. „Ich … Es wird nicht wieder passieren, Kira.“
„Du … willst mir sagen … dass du kein Interesse hast?“
„So ist es!“
„Bist du verheiratet, Finn? Wartet zu Hause eine Frau auf dich?“
Er lachte dunkel auf, weil sie damit genau die lächerliche Ausrede erwähnte, die ihm selbst durch den Kopf gegangen war. Aber auch, weil sie ihm ganz offensichtlich nicht abnahm, dass er sie nicht mehr begehrte.
„Nein, ich bin nicht verheiratet, und es gibt auch sonst keine andere Frau in meinem Leben.“ Ihre Haut war hell und absolut makellos. Auf der Nase erkannte er einige wenige Sommersprossen. So ganz ohne Make-up fand er sie hinreißend schön.
„Oh Finn. Bist du … krank? Ist es das? Bist du …“ Sie erschrak zu Tode bei ihrem nächsten Gedanken. „Bist du etwa HIV-positiv?“
Keuchend stieß er die Luft aus. „Nein, verflucht noch mal, ich bin nicht krank! Und ich bin ganz und gar nicht HIV-infiziert. Das weiß ich zufällig ganz genau, weil ich mich vor knapp vier Wochen einem Bluttest unterzogen habe und seitdem … Hör zu, wir … wir beide passen einfach nicht zusammen, verstehst du? Der Kuss tut mir leid und ist nur einer vorübergehenden Laune entsprungen. Nimm es hin!“
Ihre Augen waren in dieser Sekunde so unverschämt blau, dass es ihm schier den Atem raubte. Aufgewühlt zog er die Hände zurück und wandte sich ab. „Verzeih mir“, sagte er leise.
„Nimm es hin, Kira“, wiederholte er, ohne sich
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