Bernsteinsommer (German Edition)
zu ihr umzudrehen, „aber alles, was ich dir im Augenblick anbieten könnte, ist meine Freundschaft.“
In Wahrheit glaubte er im Leben nicht mehr daran, dass sieihm nach dieser Erniedrigung auch nur die geringste Chance dazu geben würde – und sie hätte damit verdammt recht gehabt. Meine Güte, er hatte sie gestern Abend wie ein Wahnsinniger geküsst und versuchte ihr jetzt tatsächlich weiszumachen, dass er nicht das Geringste dabei empfunden hatte. Was er ihr antat, war unverzeihlich. In Gedanken sah er sich schon den Telefonhörer abnehmen und Edgar anrufen, um ihm mitzuteilen, dass er absolut keinen Zugang zu Kira finden konnte, weil sie offenkundig nicht auf einer Wellenlänge waren. Irgendetwas in dieser Art würde ihm schon einfallen.
Kira selbst war wirklich tief verletzt, da hatte Finn recht. Aber es gab etwas, das sie davon abhielt, sich sofort und für alle Zeiten diesen Mann aus dem Kopf zu schlagen: Sie glaubte ihm einfach nicht. Außerdem hatte sie ein gesundes Selbstbewusstsein, das sie davor bewahrte, seine Abfuhr allzu persönlich zu nehmen. Finn Andersen konnte ihr nichts vormachen. Er hatte sie genauso gewollt wie sie ihn. Daran zweifelte Kira nicht im Geringsten, egal was der Mann jetzt erzählte. Gut, das änderte nichts an dem Schmerz, den sie bei seinen Worten empfunden hatte, aber ihr Gefühl für ihn war stark genug, um trotzdem nicht sofort aufzugeben.
Gerade als sie ihm eine Hand auf die Schulter legen wollte, machte er einen weiteren Schritt von ihr weg, und so fiel ihre Hand ins Leere. Kira sah auf seinen breiten Rücken und atmete tief ein.
„Gut. Also Freunde.“
Er drehte sich langsam wieder zu ihr um und sah sie erstaunt an.
„Heißt das, du nimmst es hin?“
„Ja, aber da gibt es noch etwas, Finn, das du von mir wissen solltest.“ Ihre Stimme klang plötzlich überraschend fest und sehr nachdrücklich.
„Und das wäre?“
„Ich hasse Lügen. Und ich verabscheue nichts und niemanden auf der Welt so sehr wie Lügner.“
„Ich verstehe.“
Sein Magen schien sich erneut zu verknoten, aber dieses Mal aus einem anderen Grund. Wenn das hier vorbei ist, sagte er sich, wenn mein Auftrag beendet ist, wird Kira Lengrien mich höchstwahrscheinlich hassen. Davon war er jetzt überzeugt, denn es blieb ihm ja nichts anderes übrig, als sie weiterhin zu belügen. Etwas zu verschweigen war in seinen Augen nicht besser als zu lügen. Er wusste instinktiv, dass Kira das genauso sehen würde. Weitere Lügen würden folgen müssen, weil er ihr nicht die ganze Wahrheit sagen durfte. Er würde immer weiter lügen und ihr wehtun müssen und dabei ihr Vertrauen missbrauchen. Und doch konnte er es nicht ändern.
„Und du glaubst, wir kommen damit zurecht?“, fragte sie nach einer Weile.
„Womit?“
„Mit diesem Kuss?“
„Vergiss ihn einfach, Kira!“
Kira lachte bitter auf. „Finn Andersen! Meinst du nicht, da verlangst du jetzt ein bisschen zu viel von mir? Das kann ich dir nicht versprechen. Tut mir leid, aber ich bin hier nicht der Problemfall, mein Lieber!“
Ihre letzte Bemerkung klang herausfordernd und kam einer Art Kampfansage nahe, das wusste er. Trotzdem verzog er keine Miene. „Trink deinen Tee.“
Gehorsam nahm sie einen großen Schluck aus ihrem Becher. Finn setzte sich wieder zurück auf seinen Platz und studierte eine Weile ihr Gesicht.
„Wer war der Mann?“
„Welcher Mann?“ Kira zog die Augenbrauen hoch.
„Stell dich nicht dumm, Kira. Wer war er? Du weißt genau, wen ich meine.“ Sein Gesicht blieb noch immer vollkommen unbewegt, aber Kira sah am Glitzern in seinen Augen, dass er absolut nicht so gleichgültig war, wie er vorgab. Der Gedanke, Finn könnte womöglich eifersüchtig sein, nur weil er sie mit einem anderen Mann gesehen hatte, beflügelte sie.
„Oh, das war Torben Brockmann. Er ist ein alter Freund von mir.“
„Soso, ein alter Freund. Ist er … ein enger alter Freund?“, fragte er mit betont gleichgültiger Stimme.
Insgeheim jubelte sie. Finn schien tatsächlich eifersüchtig zu sein. „Mhm, seit ewigen Zeiten schon. Er war es zum Beispiel, der mir gezeigt hat, wie man Quallen und anderes Meeresgetier am besten seziert. Als ich diese Aufgabe dann endlich zu seiner Zufriedenheit erledigte, machte er mir spontan einen Heiratsantrag.“
Finn drückte sein Rückgrat durch, und sein Mund wurde schmal.
Kira grinste ihm herausfordernd ins Gesicht. „Ich glaube, ich war damals ganze sieben Jahre alt. Torben muss so ungefähr neun
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