Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
Bertelsmann profitiert selbst dann, wenn sie ihre Projekte nicht verwirklichen kann, denn Eigentümer, Stiftung und AG erhalten Zugang zu Politikern – und die Rechnung übernimmt die Allgemeinheit. Im Fall der Bertelsmann Stiftung ist die Vermengung von Politikberatung und Gemeinnutz einzigartig und problematisch. Was man in Gütersloh als Beratung und Gemeinnutz versteht, das könnte man genauso gut als Lobbyismus bezeichnen.
Die Bertelsmann Stiftung ist auf das Vertrauen der Gesellschaft angewiesen. Glaubwürdigkeit ist ihr höchstes Gut. Weil sie das weiß, sucht sie fortlaufend nach Kooperationen mit dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin. Sie giert danach zu hören, wie sehr sie der Allgemeinheit nutzt. Die Bundespräsidenten Herzog, Rau und Köhler haben es ihr oft und allzu bereitwillig öffentlich bestätigt – ebenso die Kanzler Schröder und Merkel. Natürlich sind einzelne Projekte der Stiftung durchaus gemeinnützig. Aber verfolgt die Stiftung in der Gesamtheit ihrer Projekte und vor allem in ihrer Konstruktion ausschließlich gemeinnützige Zwecke? Ist sie glaubwürdig in ihrem Anspruch und in ihrer Reformarbeit? Die breite Kritik der vergangenen Jahre und das Ergebnis der Recherchen für dieses Buch legen ein gegenteiliges Urteil nahe: Die Stiftung dient in erster Linie dem Unternehmen, wenn nicht in einzelnen Projekten, dann in ihrer Konstruktion und Finanzierung. Sie hat viel an Vertrauen eingebüßt und sie wird – wenn sie sich nicht ändert – weiter an Glaubwürdigkeit und Einfluss verlieren.
Hat die Stiftung wirklich, wie Reinhard Mohn behauptete, keine Abhängigkeiten – vom Unternehmen oder von der Familie – zu fürchten? Vieles spricht im Gegenteil dafür, dass die Mohns nichts so sehr wie die Unabhängigkeit der Stiftung fürchten. Warum sonst hätten die Mohns im Laufe der Jahre die Satzung wieder und wieder geändert und die Stiftung damit quasi auf alle Ewigkeit zu einer gemeinnützigen Familienstiftung umfunktioniert? Durch die enge personelle Verflechtung von AG und Stiftung und die absolute Herrschaft der Familie ist die Abhängigkeit ein Wesensbestandteil der Stiftung geworden.
Mohn blickte gerne in die USA, um Lösungen zu suchen. Aber ausgerechnet amerikanische Stiftungsexperten äußern grundsätzliche Zweifel an der Unabhängigkeit und an der Legitimation der Bertelsmann Stiftung. Zwei Jahre nach dem Symposium mit Bundespräsident Roman Herzog, das sich Reinhard Mohn 1996 zu seinem 75. Geburtstag gewünscht hatte, versammelten Mohn und seine Stiftung 1998 in Gütersloh erneut siebzig Stiftungsexperten aus dem In- und Ausland. Kenneth Prewitt, Professor der Columbia University in New York, fragte: »Warum sollten große Geldsummen aus dem Steueraufkommen zu einem privaten Institut umgelenkt werden, damit es allgemeine Zwecke nach seiner Wahl fördert?« Was legitimiert es dazu? Stichhaltig sei einzig das Argument, Stiftungen trügen zur Vielfalt bei, ohne die keine Demokratie und keine freie Gesellschaft lebensfähig sei. Es sei wichtig für eine freie Gesellschaft, dass unterschiedliche Meinungen geäußert würden und dass Individuen einen Beitrag zur Diskussion leisteten. Das Prinzip der Vielfalt widerspreche dem Prinzip einer einzigen, umfassenden Wahrheit, der sich alle beugen müssen. Indem sie zu dieser Vielfalt beitragen, sagte Prewitt, liege die Existenzberechtigung von Stiftungen. Prewitt ging allerdings von Stiftungen aus, die Projekte einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen förderten. Die Bertelsmann Stiftung legitimiert sich aber nicht dadurch, dass sie gemeinnützige Organisationen fördert. Ihr liegt allein an der Durchsetzung von Mohns Wahrheiten.
Joel L. Fleishman, Juraprofessor an der Duke University in Durham, der oft in Gütersloh weilte und an Konferenzen der Bertelsmann Stiftung teilnahm, war stets in Sorge, das Unternehmen könnte die Stiftung dominieren. In den USA betrachtet der Gesetzgeber die Konstruktion, die Reinhard Mohn als seine vielleicht größte Lebensleistung betrachtete, als Interessenkonflikt und beschränkte die Beteiligung von Stiftungen an Unternehmen. Fleishman warnte in seinem Beitrag für das Handbuch Stiftungen der Bertelsmann Stiftung: »Wenn eine Stiftung von gegenwärtigen oder früheren Entscheidungsträgern des Unternehmens, das ihr gehört, weitgehend kontrolliert werden kann, verschärfen sich die rechtlichen und ethischen Probleme beträchtlich.« Wenn dann de facto ein Unternehmen die Stiftung
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