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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Ostabteilung. Als neuer Außenminister beendet Brandt Schröders erfolglose Politik, die Sowjetunion durch wirtschaftliche Stärkung ihrer Satellitenstaaten zu isolieren.
    Im September 1969 beginnt ein Epochenwechsel: Brandt, der die Frustration von 1965 längst überwunden hat, gewinnt die Bundestagswahl; die neue sozialliberale Koalition will »mehr Demokratie wagen« – und eine neue Ostpolitik: Anerkennung politischer Realitäten, Annäherung statt ideologischer Konfrontation. Wiederum auf Egon Bahr geht eine Formulierung zurück, die Brandt im Bundestag einer schäumenden Opposition entgegenhält: »Kleine Schritte sind besser als keine Schritte.« Beitz findet dies sehr plausibel. Er lebt, seit er mit Brandt und Smirnow in seinem Wohnzimmer saß, »in dem schönen Bewußtsein, recht zu behalten«, wie ein Münchner Reporter schreibt. Zu Willy Brandt entwickelt sich bald sogar eine Art Freundschaft. Gerade als Wegbereiter der Ostpolitik seit den späten fünfziger Jahren genießt Berthold Beitz hohes Ansehen beim Kanzler und dessen Vertrauten wie Egon Bahr. So bekennt er sich öffentlich, etwa in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital , zur neuen Ostpolitik: Die Regierungen Konrad Adenauers hätten »keine Ahnung von den Vorgängen im Osten« gehabt. »Sie machten Politik, ohne diese Länder zu kennen.« Unter Erhard und Kiesinger habe sich wenig bewegt, und erst »Willy Brandt betreibt jetzt wirklich Ostpolitik, mit sehr viel Mut und Energie«.
    Schon sehr bald, noch Ende 1969, bittet der neue Kanzler Beitz, als Teil seiner Delegation mit nach Warschau zu fahren – zu einer Versöhnungsreise, die von historischem Wert sein wird. Marion Gräfin Dönhoff, Herausgeberin der Wochenzeitung Die Zeit , sagt in letzter Minute ab, zu groß ist der Schmerz über die verlorene Heimat im Osten; ein Verlust, der unwiderruflich ist, nun aber von Staats wegen zugunsten der Versöhnung akzeptiert wird. Berthold Beitz dagegen nimmt die Einladung gern an.
    Er hat zudem einigen Anteil daran, dass die Reise überhaupt stattfindet. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist er regelmäßig Gast in Warschau, während die Politiker um Brandt dort buchstäblich Neuland betreten. Beitz aber genießt in Polen Vertrauen, ein hohes Gut angesichts der Tatsache, dass das Verhältnis der beiden Staaten ansonsten seit einem Vierteljahrhundert überwiegend von Wut, Vorwürfen und Misstrauen geprägt ist. Der Kanzler verfasst einen persönlichen Brief an Polens Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz und bittet Beitz, das Schreiben persönlich zu überbringen. Es ist der erste Weihnachtsfeiertag 1969.
    Der Brief ist eine Reaktion auf den Vorstoß des kommunistischen Parteichefs Polens, Wladyslaw Gomulka. Der hat der neuen deutschen Regierung sogleich Verhandlungen über die leidige Grenzfrage angeboten. Die Hoffnungen, die man in Warschau mit den Neuen in Bonn verbindet, sind groß; gerade für Gomulka hängt viel davon ab, wird er doch als »Nationalkommunist« im Kreml wie bei den ideologischen Betonköpfen im eigenen Land wenig geschätzt. Beitz erfüllt nun also noch einmal die Aufgabe des inoffiziellen Mittlers zwischen zwei Welten. Den Brief hat Brandt »persönlich und nicht-öffentlich« an Cyrankiewicz gerichtet, und darin drückt er den Wunsch aus, zu einer »Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten« zu kommen »und, was noch wichtiger wäre, … einer Aussöhnung zwischen Ihrem und meinem Volk«. Kern der Botschaft: Ja, die Deutschen sind bereit, mit Polen zu verhandeln, aber noch nicht sofort, nicht als Erstes. Der Kanzler schätzt die Lage so realpolitisch wie korrekt ein, wie er später in seinen Erinnerungen schreibt: »Es gab keine Wahl, der Schlüssel zur Normalisierung lag in Moskau. Und da war ja nicht nur die Macht zu Hause, sondern ein Volk, das ebenfalls schrecklich gelitten hatte.«
    Was die Botschaft des Kanzlers an Warschau angeht, so wählt Brandt Beitz als Überbringer, weil er eben wegen der russischen Frage die Polen diskret informieren will. Zu Beitz sagt er, wie Mieczyslaw Rakowski, der einflussreiche Chefredakteur der polnischen Wochenzeitung Polityka , überliefert, der den Brief dann beantworten wird: »Niemand in der Regierung soll davon erfahren.« Er wolle die Verhandlungen zwischen Warschau und Bonn erst im Februar [1970; J. K.] beginnen, nicht, wie geplant, gleich zu Jahresbeginn, und sie bis Juni fortsetzen. Die Polen sollten also nicht drängen, das sei nicht nötig. Er möchte

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