Berthold Beitz (German Edition)
auf dem Weg nach oben stets gewesen ist: Es kann nur einen geben – und das ist Gerhard Cromme. Er residierte im Dreischeibenhaus, dem Sitz von ThyssenKrupp. Von der Vorstandsetage aus blickte er weit über die Düsseldorfer Altstadt und den Rhein. Bis 2010 war das so. Seither ist die Konzernzentrale ganz woanders, an der Altendorfer Straße in Essen, ebendort, wo Berthold Beitz einst 1953 ein schmuckloses Büro gegenüber von Alfried Krupp bezogen hat. Krupp, nun ThyssenKrupp, kehrt zurück nach Essen, so wie es Berthold Beitz gewollt hat.
Fragt man also Gerhard Cromme, wie er mit all dem klarkommt, gibt der nüchterne Konzernlenker eine erstaunlich gelassene Antwort. »Das ist die Kunst von Berthold Beitz: Er gibt seinen Gesprächspartnern das Gefühl, auf sie komme es an, sie stünden mitten im Zentrum dieser Entscheidung. In Wirklichkeit entscheidet nur einer, und das ist er. Und wenn ich Glück habe, fragt er mich vorher.«
Das ist, natürlich, ein hübsches Understatement. In Wirklichkeit ist Gerhard Cromme Beitz’ Kronprinz und sein Weggefährte seit fast einem Vierteljahrhundert. Kein anderer ist mehr da, der so lange so eng mit ihm zusammengearbeitet hat, mit ihm die Firma Krupp durch gute und durch schwere Zeiten geführt und ein solches Vertrauensverhältnis entwickelt hat.
Beitz hat es stets vermieden, Cromme ganz offiziell als Nachfolger im Stiftungsvorsitz zu nominieren oder gar schon vom Kuratorium wählen zu lassen. Die Schlagzeilen vom »langsamen Rückzug des Patriarchen«, der nun die Amtsgeschäfte nach und nach in die Hände des Jüngeren lege, um sich dann, auf die hundert zugehend, daheim der Betrachtung der Noldes und Schmidt-Rottluffs zu widmen, gibt es seit Jahren immer wieder. Gestimmt haben sie nie. Beitz hegt auch im Jahr 2010 nicht die Absicht, sich zurückzuziehen. Solange er gesund genug ist – und auch mit 97 Jahren ist er körperlich wie geistig von bemerkenswerter Frische –, wird er bleiben: Ehrenpräsident des Aufsichtsrats, Vorsitzender des Stiftungskuratoriums, der vielfach geehrte starke alte Mann an der Ruhr, »eine der letzten Persönlichkeiten, die das Ruhrgebiet noch prägen«, so Wolfgang Clement. Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen fühlt sich an einen Satz von Willy Brandt erinnert, der einmal zu ihm sagte: »Wenn du einmal gesagt hast, dass du irgendwann zurücktrittst, dann kannst du es auch gleich tun. Du wirst dann nicht mehr ernst genommen.« Clement dürfte wissen, wovon er spricht: Er selbst galt zu seinem Grimm als der ewige Kronprinz an Raus Seite, und der alte Landesvater mochte bei all seiner sprichwörtlichen Güte nie erklären, wann der Thronwechsel denn vollzogen werde. »Ich vermute«, so Clement, »dass Berthold Beitz eines genau weiß: Sobald er sich zurückziehen würde, verlöre er seine Kraft.«
Das ist fein beobachtet. Manchmal fragt sich Berthold Beitz, was wohl geschehen wäre, wenn er »in Hamburg geblieben und mit 65 Jahren in Pension gegangen wäre«. Die Antwort gibt er sich selbst: Er wäre wahrscheinlich nicht mehr da. Die Arbeit für Krupp, »die Firma«, für Alfrieds Erbe, das geistige wie das materielle, und sicher inzwischen auch seine Rolle als moralische Respektsfigur, all das ist eine Art ständiger Jungbrunnen. »Wenige Tage bevor Alfried Krupp starb, hat er zu mir gesagt: Herr Beitz, passen Sie gut auf die Firma auf. Er hat mir diese Vollmacht gegeben, und ich vertrete ihn bis an mein Lebensende.« Ganz offen fügt er deshalb hinzu: »Ohne die Arbeit würde ich nicht mehr leben.«
Darum ist Cromme nur der Kronprinz, wenn das Wort »nur« bei einer so schwindelerregenden Karriere überhaupt angebracht ist. Ekkehard Schulz, der auf Beitz’ Wunsch seinen Vertrag noch über das Rentenalter hinaus verlängert hatte, scheidet 2011 endgültig als Vorstandsvorsitzender aus; Cromme hat, unterstützt von Beitz, die internen Machtkämpfe um die Nachfolge kurzerhand beendet, indem sie einen Mann von außen holen, eine Überraschungslösung: den 49-jährigen Heinrich Hiesinger, der bei Siemens – dessen Aufsichtsrat ebenfalls Cromme vorsitzt – die umsatzstärkste Sparte geleitet hatte. Der Financial Times zeigt dieser Coup, dass Cromme »wie der Sonnenkönig persönlich regiert: Er verschiebt Spitzenpersonal zwischen beiden Dax-Konzernen wie Figuren auf einem Schachbrett.«
Insofern entbehren die endlosen Spekulationen über Beitz, der in der Nachfolgefrage zu teilen und zu herrschen verstehe, jeder Grundlage:
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