Berthold Beitz (German Edition)
anderen Planeten gekommen, einem ganz anderen als die übrigen Deutschen«.
Bis zum August 1942 beschäftigt Beitz im Ölbetrieb eine wachsende Zahl jüdischer Facharbeiter, die er meist persönlich kennt und höflich behandelt. Darüber hinaus versucht er, wie die Beispiele von Arthur Birman und den Linhards zeigen, anderen Boryslawer Juden gezielt zu helfen. Manche kommen voller Misstrauen zu ihm, wie der 39-jährige Buchhalter Jozef Hirsch, der dann zu einem seiner engsten Mitarbeiter wird und sogar eigenständig weitere Juden unter dem schützenden Dach der Ölgesellschaft einstellen darf.
Unter den Deutschen von Boryslaw hat Beitz kaum wirkliche Vertraute. Der zweite Direktor neben Beitz, der technische Leiter der Boryslawer Bezirksinspektion, ist Erich Radecke, eine dubiose Figur. Er stellt sich zwar nicht offen gegen den Kollegen, und nach dem Krieg werden einzelne Überlebende ihn in Briefen an Beitz in ihren Dank mit einbeziehen – offensichtlich, weil er die von Beitz Geretteten gelegentlich und auf dessen Wunsch mit Lebensmitteln versorgt hat. Andererseits ist Radeckes Abteilung von Nazis durchsetzt, er selbst ein Freund von Polizeichef Wüpper; aus Radeckes Büro wird Beitz später bei der Gestapo angezeigt. Jurek Rotenberg, der als Arbeiter den technischen Direktor kennenlernt, empfindet dessen Haltung als judenfeindlich und »nicht vertrauenswürdig«.
Weit vertrauter ist Beitz eine alte Freundin seiner Frau aus Hamburger Tagen, die aus dem schottischen Edinburgh stammende Evelyn Döring, die er 1942 eigens als Sekretärin nach Boryslaw holt. Ihr ging es wegen einer unglücklichen Liebe nicht gut, und 1941 ist ihr Bruder als Seemann mit dem Schlachtschiff Bismarck untergegangen. So folgt sie in dieser Lebenskrise dem Ruf ihres alten Freundes ins Generalgouvernement. Selbstbewusst, mit ihrer Neigung, bei abendlichen Runden raue Seemannslieder anzustimmen, ein wenig exzentrisch und mit flammend roten Haaren, ist sie bei der Karpathen-Öl eine auffallende Erscheinung; Beitz kann ihr vertrauen. Und sie zeigt Courage, als sie Else und Berthold Beitz aktiv unterstützt: »Wir waren jung, mutig und hilfsbereit.« Wie das Ehepaar ist auch dessen Freundin entsetzt über das, was sie in Boryslaw erleben muss, »wo von Abknallen, Umbringen, Traktieren, KZ -Aktionen … Vergasung leichthin die Rede war«. Oft erfährt Beitz von bevorstehenden Aktionen der SS – es gibt über die eigenen Arbeiter und die deutschen Besatzer viele Kanäle für Informationen; dann warnt er Juden und Polen rechtzeitig, und Teil seines »Warndienstes« ist die verlässliche Sekretärin, die tief beeindruckt ist von ihrem jungen Chef: »Sein Gerechtigkeitsgefühl auch den Polen gegenüber machte ihn auch für diese unglücklichen Menschen zu einer Art Halbgott; in seiner Nähe fühlten sie sich sicher.« Und immerhin, wie die Sekretärin feststellt, hat der dynamische, mit den Mitarbeitern gern scherzende Direktor auch bei den deutschen Angestellten »treue Anhänger«, die sich den Juden gegenüber zumindest korrekt verhalten. Manchmal tun sie sogar noch etwas mehr. Der Prokurist Fritz Blank legt später etwa ein Versteck für die jüdische Familie Klinghoffer auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes an, sein Kollege Elmar Precht hilft Evelyn Döring und Beitz, ein jüdisches Kind im Büro zu verbergen. Beitz’ jüdische Mitarbeiterin Hilde Berger bescheinigt daher auch Precht eine »anständige Haltung«.
Berger spricht fließend Polnisch und sitzt in der Boryslawer Karpathen-Verwaltung gleich neben Evelyn Döring. Die junge Jüdin stammt aus der Reichshauptstadt, und Evelyn Döring erscheint sie »als fesche Berlinerin, die unglücklicherweise in Boryslaw – am Ende der Welt – landete, nur weil sie weit zurück mal polnische Vorfahren hatte«. Hilde Berger ist als Kreuzberger Trotzkistin nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Untergrund gegangen, 1936 aber von der Gestapo geschnappt worden. Sie sitzt drei Jahre in Haft, versäumt eine einmalige Gelegenheit zur Ausreise nach London und wird dann nach Polen zu ihrer Familie abgeschoben. Mit der Kollegin spricht sie manchmal, wie in längst vergangenen glücklichen Berliner Jahren, über Kunst und Literatur. Einmal weint Hilde Berger hemmungslos über all das Grauen, das sie um sich herum erlebt und das ihr selbst gewiss wäre, hätte Beitz sie nicht zu seiner Sekretärin gemacht.
Und dann ist da Emil Peter Ehrlich, ein echter Agent und getaufter Jude. Den jungen
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