Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
Vom Netzwerk:
stößt im Spätherbst 1941 bereits auf das über 1000 Kilometer entfernte Moskau vor; im Oktober 1941 schreit Hitler vor einer entfesselten Menge im Berliner Sportpalast: »Dieser Gegner ist bereits gebrochen!« Das erfahren die Linhards nur bruchstückhaft, aber sicher erscheint ihnen eines: »Die Deutschen wirkten in diesem Krieg unbesiegbar, und nirgends sahen wir eine Hoffnung.«
    Außer eben, vielleicht, durch die Arbeit in der Industrie in Boryslaw, also überwiegend den Ölbetrieben. Zwar hat die SS anfangs die »Entjudung« der Belegschaft angeordnet, doch lässt sich das, angesichts der großen Zahl jüdischer Facharbeiter, nicht aufrechterhalten. In der Karpathen-Öl AG ist jeder fünfte Beschäftigte jüdisch.
    Hat die Besatzungsverwaltung anfangs die sofortige Entlassung aller jüdischen Arbeitskräfte angeordnet, so darf auch die Karpathen-Öl ab Oktober wieder Juden beschäftigen. Was Beitz von Beginn an von sehr vielen anderen Rüstungsdirektoren im Generalgouvernement unterscheidet, ist seine Haltung gegenüber diesen Arbeitern. Anderswo sind sie Produktionssklaven, die man vorläufig noch braucht und vielleicht ebendeshalb vor der SS bewahren will. Bei Beitz ist das anders: Er stellt sofort wieder Juden ein, in wachsender Zahl, er begegnet ihnen freundlich und sieht zu, dass sie ausreichend versorgt werden.
    So kommt in dieser Zeit der 14-jährige Arthur Birman, der Zwangsarbeit bei einem Fliesenleger zu leisten hat, zum Abdichten des Bades in Beitz’ Haus. »Als ich mit der Binde am Oberarm in die Wohnung kam«, erinnerte er sich später, »wurde ich sogleich zum Frühstück an den Tisch eingeladen« – von Else Beitz. Er geniert sich, isst dann aber doch etwas und bittet die Frau des Direktors, ob er seiner Mutter etwas von dem Frühstück mitbringen dürfe. »Sie packte mir einen Laib Brot, Honig und ein Stück Wurst ein und händigte es mit den Worten aus: ›Das ist für Ihre Mutter. Sie sind ein braver Junge, denn Sie sorgen für Ihre Mutter.‹«
    Solche Gesten lassen das Haus des Paares bald »wie eine Insel der Menschlichkeit« erscheinen, so empfindet es Salek Linhard. Obwohl die Details im Rückblick von fast siebzig Jahren nicht mehr ganz zu klären sind, lässt das Ehepaar Beitz 1941/42 Vater und Sohn Linhard eine Weile bei sich im Haus arbeiten. Nach Salek Linhards Erinnerung waren sie dabei in einem kleinen Raum unterhalb der Wohnung beschäftigt, unter anderem fertigten sie Pelze aus der früheren väterlichen Kürschnerei. Jitzhak Linhard ist es nämlich beim Einmarsch der Roten Armee 1939 gelungen, einen Teil seiner Pelze bei einem polnischen Freund zu verstecken, da er fürchtete, dass die Russen deren Besitz mit einer Reise nach Sibirien vergolten hätten. Nun hat er also das Rohmaterial, das er zu Hause, in engsten Räumlichkeiten und unter ständiger Entdeckungsgefahr, nicht bearbeiten kann. Die Gestapo hätte die Felle sofort beschlagnahmt und ihren Besitzer erschossen, da er sie nicht befehlsgemäß abgeliefert hatte. Es scheint, als habe Berthold Beitz Linhard so etwas wie einen sicheren Arbeitsraum geboten, ohne aber selbst mit dessen Geschäften etwas zu tun zu haben. Jitzhak Linhard verkauft die Pelze auf eigene Rechnung auf dem regen Schwarzmarkt von Boryslaw und ernährt damit seine Familie und deren Verwandte, die sonst verhungern müssten. Fast alle Juden müssen auf ähnliche Weise versuchen, sich mit dem nötigen Essen zu versorgen.
    Da er fließend Deutsch spricht, entsteht bald ein freundlicher Gedankenaustausch mit dem Direktor: »Beitz schätzte es, wenn er nach der Arbeit in seine Wohnung zurückkehrte, lange mit meinem Vater zu sitzen und sich mit ihm in herzlichem Ton über verschiedene Themen zu unterhalten. Politische Themen wurden dabei nicht ausgeschlossen. Von meiner Seite aus kann ich ruhigen Gewissens schließen, daß Beitz einer der tadellosesten von mir je angetroffenen Menschen war.«
    Er unterstützt die Linhards auch später, als sie nicht mehr in seinem Haus sind. »Von da an«, berichtet Salek Linhard heute, »kam jeden Tag bei Dunkelheit die Pferdekutsche des Direktors zu uns nach Hause. Sie brachte Getreide, Brot, Zucker, Öl, Margarine, Brot. Wir haben versteckt, was wir nicht gleich brauchten, und anderen davon abgegeben – es war genug. Beitz hat meinen Vater mehrmals gefragt: ›Braucht ihr noch mehr?‹ Und er hat uns, sagte Vater, mehr gegeben als wir ihm.« Es scheint ihm daher noch heute, als sei »die Familie Beitz von einem

Weitere Kostenlose Bücher