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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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bringen ihn zum Bahnhof. Karol hat keinen rettenden Arbeitsausweis. Und der Vater wird Janek, dem jüngeren Sohn, später immer wieder erzählen, dass Berthold Beitz den großen Bruder trotzdem aus dem Waggon holen wollte, aber SS -Männer hätten es nicht erlaubt: »Der ist jung, den nehmen wir mit zur Arbeit!«
    Janek und seine Mutter haben für ein Versteck bezahlt und klettern in den großen Kleiderschrank bei einer Ukrainerin. Der Jüngere hört Poltern an der Haustür, dann die rauen Stimmen der Milizionäre: »Juden! Sind hier Juden?« Was wird die Frau jetzt tun?, fragt sich Janek, außer sich vor Angst. Aber die sagt geistesgegenwärtig: »Bei uns? Was denkt ihr denn? Wir sind doch alle Ukrainer! Wir hassen die Juden.« Die Männer rücken ab. So überlebt Janek Bander die August-»Aktion«. Doch sein geliebter Bruder Karol fährt für immer davon. Er wird in Janowska ermordet.
    Wie Vater Bander verdanken auch die beiden Linhards, die eine Zeitlang in Beitz’ Haus gearbeitet haben, dem Direktor in diesen mörderischen Hochsommertagen das Leben. Als die SS und ihre Helfer die Opfer durch die Gassen der Ölstadt treiben, sucht Salek, wie er es heute schildert, seinen Vater. Er ist nirgends zu finden. Es ist der Morgen des 7. August. Der Junge schleicht zu Beitz’ Haus und trifft auf die Frau des Direktors, die kleine Barbara auf dem Arm. Sie steht in der Tür und mustert ihn besorgt. »Ist mein Vater hier?« – »Nein«, antwortet Else Beitz, »aber komm jetzt lieber herein.« Sie versucht den verwirrten Jungen, sobald sie ihn in der Sicherheit des Hauses weiß, zu beruhigen: »Möchtest du vielleicht etwas Frühstück?«
    Aber Salek hält es nicht aus. Er schleicht sich zurück auf die Straße und sucht weiter, immer im Schatten von Häusern, Werksanlagen, Höfen. Er hört das Hohngelächter der Soldaten, das Schluchzen der Frauen, das Weinen der Kinder; auf der Straße sieht er Blutlachen, aufgerissene Koffer, einen Toten mit klaffender Einschusswunde am Hinterkopf. Als es dunkelt, hat er es bis in die Nähe des Bahnhofs geschafft, ohne erwischt zu werden. Er versteckt sich jenseits der Gleise und beobachtet die Umgebung. Direkt vor ihm ragt eine Werkshalle hoch in die Nacht, und immer wieder treiben die Deutschen und Ukrainer neue Gruppen von Menschen hinein: eine Sammelstelle für die Deportation. Wenn ich eine Chance habe, ihn zu finden, dann hier, denkt Salek. Er nähert sich vorsichtig. Irgendwo muss doch ein Fenster sein, ein Spalt in der Mauer, eine Seitentür. Aber da ist nichts, nur eine Wand aus kaltem, hartem Beton.
    Stundenlang harrt er aus, bis er das Getrappel von Pferdehufen hört. Ein Fuhrwagen ist vorgefahren. Es riecht nach frischem Brot, offensichtlich für die Gefangenen im Hangar. Salek bereut längst, dass er bei Frau Beitz nichts gegessen hat. Vor Hunger wird der Junge unvorsichtig. Neben der Karre steht ein Mann vom jüdischen Ordnungsdienst, den er kennt. Er nähert sich dem Wagen und fragt den Hilfspolizisten flüsternd: »Kannst du mir bitte eines der Brote geben? Und weißt du etwas über meinen Vater?« Plötzlich wird er gepackt, er hat eine Sekunde nicht aufgepasst. Ein Deutscher hält ihm ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett vors Gesicht: »Was willst du hier? Ab mit dir!«
    So kommt er doch noch in den Hangar, aber nicht als Befreier des Vaters, wie er es sich in seiner Phantasie ausgemalt hat. Dutzende Männer drängen sich am Eingang, keiner sagt ein Wort. »Sie standen innen am Tor und warteten, worauf auch immer«, erinnert sich Salek Linhard. Es ist dunkel dort drinnen, es herrscht fürchterliche Enge, die Luft ist zum Schneiden. Einige liegen bewusstlos auf dem Boden, es gibt Tote, deren Herz oder Kreislauf den klaustrophobischen Kerker nicht ausgehalten haben. Der Boden starrt vor Dreck. Salek fragt sich durch: »Wo ist mein Vater?« – »Habt ihr Jitzhak Linhard gesehen?« Und schließlich, in einer Ecke am Ende der Halle, findet er ihn tatsächlich. Sein Vater ist verzweifelt. Er schämt sich, weil seine Frau nun allein im Lager der Arbeiter zurückbleibt, weil der Sohn sich für ihn in Gefahr begeben musste. Und Jitzhak Linhard ist sich sicher, dass sie beide umkommen werden.
    Da hört Salek von draußen Motorengeräusche und laute Stimmen. Das Tor wird wieder aufgerissen, jemand brüllt: »Alle Ölarbeiter rauskommen!« Es ist einer der SS -Leute. Es gibt Tumulte am Eingang, ukrainische Milizionäre schlagen brutal mit Gewehrkolben auf die Juden ein. Jitzhak

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