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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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ist es zu spät. Sie werden zu Hause oder auf der Straße geschnappt und zum Bahnhof getrieben, teils mit Hilfe deutscher Werksangehöriger. Beitz eilt in die Stadt und wird eine Weile bei der Polizei festgehalten, ehe er schließlich mit dem Wagen zum Bahnhof fährt. Und beim Anblick der Kinder, so erklärt er später Thomas Sandkühler, weiß er, dass das Ziel dieser Aktion nur der Mord an all diesen Menschen sein kann:
    Ich sah die Kinder mit den gestreiften Schlafanzügen unter dieser Lampe. Dann kamen die anderen, die sie überall hergeholt hatten, dann wurde abgezählt in die Waggons … In welcher Ergebenheit und Demut die dastanden und sich nicht wehrten und wegliefen, immer in der Hoffnung, daß sie doch noch gerettet würden oder irgendwo hinkämen, wo sie überleben würden … [Sie] galten eigentlich gar nichts, die waren Nummer, Ware oder so etwas. Die Polizei da, mit welcher Gleichgültigkeit und Brutalität die die Menschen behandelt haben.
    Beitz drängt sich, wie Rotenberg durch sein Dachfenster beobachtet hat, durch die Posten der SS und an einem schreienden Offizier vorbei bis auf den Bahnsteig. Er hört Weinen und Hilferufe aus den Waggons, das Gebrüll der SS -Männer und Polizisten, das Bellen der scharfen Hunde. Noch immer hallen Schüsse, als die Häscher einzelne Juden am Bahnhof erschießen. Beitz läuft an den Waggons entlang und ruft Namen, die er kennt. Er ruft, so laut er kann. Arbeiter der Karpathen-Öl sollen sich melden. Eine vielstimmige Menge schreit zurück: »Herr Direktor, nehmen Sie mich!« – »Ich arbeite bei Ihnen!« Er zieht so viele Menschen heraus, wie er kann, und keineswegs nur seine Leute. So deutet er auf den 21-jährigen Boryslawer Juden Zygmunt Spiegler: Auch der gehöre zu ihm. Spiegler selbst hat Beitz noch nie gesehen, es erscheint ihm, als ob »ein Engel plötzlich in die Hölle kam«. Und er berichtet später, dass Beitz viele Menschen nach ihren Berufen fragt: »Die Antwort schien ihm allerdings ziemlich gleichgültig zu sein, denn er rief auch solche Personen heraus, die als Beruf ›Friseur‹ oder ›Gärtner‹ angaben.« Die SS -Leute geben oft nach, überrascht und überfordert.
    Gleichwohl vermag Beitz nicht jedem zu helfen. So kann er die Mutter jener Sekretärin mit den braunen, traurigen Augen nicht retten, über deren Schicksal er fast fünfzig Jahre später bei der Ehrung in Yad Vashem weinen wird. »Ist es erlaubt, Herr Direktor, dann gehe ich auch zurück«, sagt die junge Frau, sie sieht ihn an und steigt wieder in den Waggon, in den ihre Mutter zurückgehen musste. Ein SS -Mann hat sie nicht gehen lassen, weil er nicht glaubte, dass die alte Frau in der Ölindustrie arbeiten könne: »Die geht wieder zurück. Die andere können Sie haben, die schenke ich Ihnen.« Diese Tragödie ist eine Schlüsselszene für Berthold Beitz, für Macht und Ohnmacht, die er in Boryslaw oft im selben Moment spürt. Sie lässt ihn niemals mehr los, er wird sie in späteren Jahren immer wieder erzählen, wie in Jerusalem 1990. Er allein und niemand sonst hätte 1942 am Bahnhof von Boryslaw die Macht und die Kraft, die junge Frau zu retten, aber für ihre Mutter und viele andere kann er nichts tun; bei ihr funktioniert die Legende der Unabkömmlichkeit nicht, mit der er seine Rettungsaktionen oft so erfolgreich tarnt.
    Viele Menschen bewahrt er an diesem Tag vor der Fahrt in den Tod, viele der Karpathen-Arbeiter und Angehörige, manche Beschäftigte, deren Familie dennoch nach Belzec transportiert wird, und nicht wenige Juden, die mit seiner Firma gar nichts zu tun haben. Zu den Geretteten gehört Oskar Bander, der als Buchhalter bei der Karpathen-Öl beschäftigt ist – seine Frau arbeitet dort in der Werksküche – und der nach dem Einmarsch der Deutschen im Vorjahr den einquartierten Kommandanten zornig gefragt hatte: »Wollt ihr uns alle erschießen?« Jetzt weiß er die Antwort. Beitz holt ihn aus dem Zug. Aber das Schicksal trifft die Familie dennoch hart an diesem Tag.
    Der ältere Sohn Karol hat sich, als die »akcja«, wie die Polen sagen, durch die Straßen tobt, ganz oben in einem der großen hölzernen Fördertürme verborgen, die das Stadtbild dominieren. Ein Freund ruft ihn, der Vater suche ihn, er solle besser zur Karpathen-Öl kommen. Aber als Karol die Stiegen herabsteigt, ist er kurz an einem kleinen Fenster zu sehen, und genau in diesem Moment schaut ein ukrainischer Polizist hoch. Als der Junge unten ist, warten die Menschenfänger schon und

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