Berthold Beitz (German Edition)
Aber Hunderte verdanken ihm an diesem Tag ihr Leben. Er tut, woran andere nicht zu denken wagen. Und er tut das in einer Zeit, in der wenig Hoffnung besteht, dass das Regime des Terrors bald enden könnte, im Gegenteil. Das, sagt Salek Linhard heute, müsse man bedenken, um »richtig würdigen zu können, unter welchen Umständen Herr Beitz uns schon 1942 geholfen hat«. Und er hat recht. Die Deutschen sind im Dezember 1941 vor Moskau zurückgeschlagen worden, aber der Sommer 1942 bringt schon wieder einen neuen Siegeslauf der Wehrmacht. Als in den ersten Augusttagen die »Aktion Reinhard« über Boryslaw hereinbricht, stößt gerade Erwin Rommels Afrikakorps, die eroberte britische Festung Tobruk im Rücken, auf Ägypten vor. Die 6. Armee der Wehrmacht zertrümmert im Süden Russlands auf dem Weg nach Stalingrad jeden Widerstand, macht Hunderttausende Gefangene – die ebenfalls ein furchtbares Schicksal erwartet –, und die Wochenschauen melden, eingeleitet von Fanfarenklängen, immer neue Triumphe: »Der Vormarsch der deutschen Kolonnen war auf eine Entfernung von 50 bis 65 Kilometer zu erkennen. Eine gewaltige Staubwolke erhob sich in den Himmel, geschwärzt vom Rauch brennender Dörfer und feuernder Geschütze.« Das sind die Nachrichten, die Beitz im Rundfunk und die Linhards in ihrem Versteck über die polnischsprachige BBC hören.
Und dennoch folgt Beitz der Stimme des Gewissens und stellt sich den Mördern in den Weg. Sein Auftreten, so wie es der junge Jurek Rotenberg von seinem Versteck im Dachgeschoss aus beobachtet, verwirrt die SS -Männer, sie können es sich nicht erklären. Dass ein Mann sich für andere, ihm meist ja völlig Fremde in Gefahr bringt – das ist in ihren Denkmustern nicht vorgesehen. Wer ihnen, wie Berthold Beitz, selbstbewusst gegenübertritt und Forderungen stellt, kann in ihren Augen nur ein sehr mächtiger Mann sein. Es muss da etwas geben, was sie nicht wissen – Gönner in höchsten Positionen vielleicht? Beitz untersteht ja dem Oberkommando des Heeres ( OKH ). »Darauf«, so Beitz, »berief ich mich immer, das machte Eindruck bei denen. Sonst wären die Rettungsaktionen in Boryslaw gar nicht möglich gewesen.« Beitz trägt stets ein Telegramm aus dem OKH bei sich, das sämtliche Behörden in Boryslaw auffordert, »die für die Aufrechterhaltung der Erdölproduktion erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen«. Als ein hoher SS -Offizier aus Lemberg das einmal liest, gibt er mit den Worten nach: »Aha, so ist die Sache.« Ohne die jüdischen Rüstungsarbeiter aus dem Werk – oder die, die er als solche ausgibt – sei die Treibstoffproduktion in Gefahr, betont Beitz bei den Verhandlungen und erweckt den Eindruck, als sei sein Eingreifen direkt mit dem OKH abgesprochen.
Das ist nicht der Fall. Gewiss, im ganzen deutschen Besatzungsgebiet, gerade in Polen, gibt es einen natürlichen Widerspruch zwischen den Interessen der Rüstungsproduktion und den Massenmorden des Vernichtungsapparates. Die eine Seite will jüdische Facharbeiter behalten, die andere möglichst alle von ihnen töten. Aber nur sehr wenige Manager der Kriegswirtschaft lassen es auf massive Konflikte mit der SS ankommen, und noch weniger tun das uneigennützig, aus Menschlichkeit den Opfern gegenüber. Beitz dagegen spielt die Karte der Rüstungsinteressen, sooft er nur kann: »Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, dass ich an höherer Stelle intervenieren würde, wenn sie nicht nachgeben, das hat oft funktioniert – aber nur, weil sie meinen Einfluss überschätzt haben.«
DENUNZIANTEN: BEI DER GESTAPO
Es finden sich freilich genug Deutsche, die austesten wollen, wie es denn wirklich um den Einfluss des selbstbewussten jungen Direktors bestellt ist, der so ein großes Herz für die Juden hat. Beitz’ freundlicher Umgang mit den Verfolgten, ihre Versorgung mit Lebensmitteln, die Einstellungspraxis bei der Karpathen-Öl: All das ist nicht unbemerkt geblieben. Manche »Volksdeutsche« aus Boryslaw, auch Angestellte der Ölgesellschaft, fühlen sich inzwischen als Herrenmenschen, die ihren Judenhass ausleben dürfen. Sie mögen den smarten Manager aus Hamburg nicht, der sich so ganz anders verhält; und auch in der Firma selbst tuscheln leitende Angestellte voller Missgunst.
Evelyn Döring, die rothaarige Vorzimmerdame und Vertraute des Ehepaars Beitz, hat vor allem die Abteilung des technischen Direktors Erich Radecke im Verdacht, heimlich zu intrigieren. Dessen Sekretärin trägt gern ein
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