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Bertrams Hotel

Bertrams Hotel

Titel: Bertrams Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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anderen nannte natürlich auch er Chefinspektor Davy »Vater«, hinter seinem Rücken, aber er hatte noch nicht das Dienstalter erreicht, das ihm eine solche Anrede gestattete.
    »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, erkundigte er sich. Der Chefinspektor summte zur Begrüßung einfach sein Liedchen weiter, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
    »Viel zu tun?«, fragte er.
    »So einigermaßen.«
    »Sie bearbeiten gerade einen merkwürdigen Fall: Jemand ist aus einem Hotel verschwunden, nicht wahr? Wie war der Name doch gleich? Bertrams Hotel. Stimmt’s?«
    »Ja, ganz recht, Sir. Bertrams Hotel.«
    »Haben sie die Polizeistunde nicht eingehalten? Prostitution?«
    »O nein, Sir«, erwiderte Inspektor Campbell, ein wenig schockiert, Bertrams Hotel in einen solchen Zusammenhang gebracht zu hören. »Es ist ein sehr nettes, ruhiges, altmodisches Hotel.«
    »Wirklich?«, meinte Vater. »Nun, das ist ja sehr interessant.« Inspektor Campbell hätte gern gewusst, warum es interessant sei. Aber er wagte nicht, danach zu fragen, da die Laune der leitenden Herren, wie allgemein bekannt, sehr schlecht war seit dem Überfall auf den Postzug, der einen eklatanten Erfolg für die Verbrecher darstellte. Er betrachtete Vaters breites, grobes, stures Gesicht und wunderte sich im Stillen – und nicht zum ersten Mal –, wie Chefinspektor Davy seinen jetzigen Rang erreicht hatte und warum man im Dezernat so große Stücke auf ihn hielt.
    »Also nun, was ist eigentlich los in Bertrams Hotel?«, fragte der Chefinspektor nach einer Weile. »Wer ist verschwunden und wie und warum?«
    »Ein Kanonikus Pennyfather, Sir. Älterer Geistlicher.«
    »Langweiliger Fall, wie?«
    »Ja, Sir, in gewisser Hinsicht schon.«
    »Wie sieht der Mann aus?«
    »Kanonikus Pennyfather?«
    »Ja – Sie haben doch wohl eine Beschreibung von ihm?«
    »Natürlich.« Campbell blätterte in seinen Unterlagen und las dann: »Größe einsdreiundsiebzig, dichte weiße Haare, gebeugte Haltung…«
    »Und er ist aus Bertrams Hotel verschwunden – wann?«
    »Etwa vor einer Woche – am 19. November.«
    »Und jetzt wurde es erst gemeldet? Haben sich aber Zeit gelassen, nicht wahr?«
    »Nun, ich glaube, es wurde allgemein angenommen, dass er wieder auftauchen würde.«
    »Irgendeine Idee, was dahinter steckt?«, fragte Vater. »Ist ein anständiger, gottesfürchtiger Mann plötzlich mit der Frau seines Küsters durchgebrannt? Oder neigt er heimlich zum Suff? Hat er Kirchengelder unterschlagen? Oder ist er einer dieser zerstreuten Professoren, denen so etwas häufiger passiert?«
    »Nun, nach allem, was mir so zu Ohren gekommen ist, gehört er zur letzten Kategorie. Es ist schon oft vorgekommen.«
    »Wie – dass er aus einem respektablen Westend-Hotel verschwunden ist?«
    »Nein, das gerade nicht, aber er ist nicht immer nachhause zurückgekehrt, wenn man ihn erwartete. Gelegentlich ist er bei Freunden aufgetaucht an einem Tag, für den er nicht eingeladen war. Dann wieder ist er nicht erschienen, wenn man ihn wirklich eingeladen hatte. In diesem Stil.«
    »Ja«, sagte Vater. »Ja. Nun, das klingt ja ganz hübsch und natürlich und planmäßig, nicht wahr? Was sagten Sie noch – an welchem Tag ist er verschwunden?«
    »Donnerstag, den 19. November. Er sollte eigentlich an einem Kongress in« – Campbell beugte sich vor und sah in seinen Papieren nach – »o ja, in Luzern teilnehmen. Gesellschaft für Bibelforschung. Ich glaube, es ist eine deutsche Gründung.«
    »Und fand sie tatsächlich in Luzern statt? Der alte Knabe – das ist er doch wohl, wie?«
    »Dreiundsechzig, Sir.«
    »Der alte Knabe ist dort nicht erschienen. Stimmt’s?«
    Inspektor Campbell zog die Unterlagen zu sich heran und gab Vater einen genauen Bericht über alle bisherigen Ermittlungen.
    »Klingt nicht danach, als wäre er mit einem Chorknaben auf und davon gegangen«, bemerkte Chefinspektor Davy.
    »Er wird wohl wieder auftauchen, nehme ich an«, sagte Campbell, »aber wir gehen der Sache natürlich nach. Sind Sie hm – besonders interessiert an diesem Fall, Sir?« Er konnte seine Neugierde kaum verbergen.
    »Nein«, erwiderte Davy nachdenklich. »Nein, nicht an dem Fall an sich. Er enthält nichts Bemerkenswertes für mich.«
    Es trat eine Pause ein, eine Pause, in der deutlich die unausgesprochene Frage Campbeils schwebte: Nun, wozu dann dieses ganze Palaver? Er war jedoch zu gut erzogen, um sie laut zu äußern.
    »Was mich wirklich interessiert«, fuhr Vater fort, »ist das Datum. Und

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