Beruehmt und beruechtigt
der Gedanke an ein College war ihr zuwider. Wenn man sie drängte, sagte sie Columbia, aber im Grunde sahen Columbia und Princeton, Amherst und Williams alle nur wie eine größere Version von Waverly aus – voller überdrüssiger und verwöhnter Teens wie sie selbst.
»Columbia ist ein gutes College. Und nach dem College?« Eric strich seine Krawatte über der Brust glatt und warf einen Blick in den geöffneten Ordner auf seinem Schreibtisch. »Wie ich sehe, haben Sie überall anständige Noten – eins minus oder zwei plus. Aber... daraus kann ich nicht entnehmen, wo Ihre eigentlichen Interessen liegen.« Er blickte auf und sah Tinsley etwas länger als nötig an. Es rieselte ihr kalt den Rücken hinunter – sie hatte das Gefühl, als wolle er in ihr Inneres spähen. »Außer Tennis im Schulteam in der Neunten...«, wieder sah Eric von dem Ordner auf und hob anerkennend eine Augenbraue, als wolle er sagen, dass er sie zu gerne mal auf dem Tenniscourt sehen würde. »Ihre einzige außerlehrplanmäßige Aktivität besteht aus dem Cineclub, der Filmgruppe.«
»Um genau zu sein, habe ich den Cineclub selbst gegründet «, erwiderte Tinsley etwas aufmüpfig.
»Das ist doch was.«
»Nichts Besonderes.« Tinsley tat wieder bescheiden.
»Aber im Untergeschoss von Haus Hopkins gibt es einen perfekt ausgestatteten Vorführraum, der nur benutzt wird, wenn ein Lehrer seiner Klasse einen Film zeigen will.« Tinsley schüttelte den Kopf. »Waren Sie schon mal da unten?« Der Filmraum war einer der stilvollsten Orte auf dem Campus. Er hatte teure Klappsessel aus Leder, eine vier Meter breite Leinwand, Hightech-Beleuchtung und ein Dolby-Surround-System. Es gab nur etwa zwanzig Sitze, der Raum war also recht intim, etwa so, wie man sich den privaten Vorführraum eines Hollywood-Regisseurs auf seinem Anwesen in Beverly Hills vorstellte.
»Nein, noch nicht.« Eric wirkte interessiert. »Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas in Waverly gibt – zu meiner Zeit gab es das jedenfalls nicht.«
»Dann sollten Sie sich den Raum unbedingt mal ansehen.« Tinsley stellte sich vor, wie aufregend es sein würde, dort im Dunkeln mit Eric zu sitzen und auf der großen Leinwand einen erotisch-spannenden Film anzusehen wie Body Heat. Oder ihn nicht anzusehen. Draußen auf dem Gang diskutierten ein paar Mitglieder der Schulband, welche Songs sie für den Eröffnungsabend einstudieren sollten. Kindergarten.
»Wissen Sie, was ich glaube?«, fragte Eric und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Sie konnte sich das eine oder andere vorstellen, was er glaubte. Mit einer graziösen Bewegung nahm sie eine andere Haltung ein, bremste sich aber, mit ihren Haaren zu spielen. Das war eine Geste, die Mädchen ihrer Meinung nach überstrapazierten, wenn sie versuchten, die Aufmerksamkeit eines Jungen zu erregen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, ihn fest anzusehen, was schwieriger war, als sie erwartet hatte. Er schien sie mit seinem Blick zu durchbohren. »Ich glaube, Sie sind eine jener seltenen Personen, die so viele Begabungen haben, dass es Ihnen schwer fällt, sich auf die richtigen zu konzentrieren.«
Das war etwas rätselhaft. Was meinte er wohl mit den richtigen ? »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, was das heißt«, sagte sie zurückhaltend und zog den Rock über die Knie.
»Nichts Negatives«, versicherte er ihr schnell und lächelte ihr vertraulich zu. »Einfach, dass Sie mit allem klug und gekonnt umgehen. Ich will nur herausfinden, was Ihnen besonders liegt.«
Plötzlich war Tinsley ermutigt. Während der folgenden zehn Minuten berichtete sie ohne Unterbrechung von ihren Erfahrungen in Kapstadt und Johannesburg, und wie spannend es gewesen war, einen Dokumentarfilm zu drehen in einem Land mit solch schockierenden Gegensätzen an überwältigendem Reichtum und verzweifelter Armut, während die Gesellschaft versuchte, nach der Apartheid ihre neue Identität zu finden. Das erregende Erlebnis, eine Nation zu beobachten, die sich erst selbst kennenlernte, inspirierte sie und weckte in ihr den Wunsch, selbst weitere Dokumentationen zu machen, vielleicht sogar über dieses verpfuschte Land. Es war ein irrsinnig intensiver Sommer gewesen. Sie konnte spüren, wir ihre Wangen glühten, während sie erzählte, und sie fühlte sich gleichzeitig entspannt und angeregt. Die Worte purzelten nur so aus ihr heraus.
Eric nickte und machte sich hie und da Notizen auf seinem Block. Sie bemerkte ein paar blasse Sommersprossen auf seinen
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