Hinweise erhalten habe, dass Sie Ihre Bewährungsauflagen verletzt haben.«
»Verletzt?«, fragte Easy ungläubig. »Wie? Ich habe nichts getan. Wer hat das behauptet?«
»Wir sind mehrfach darüber informiert worden«, wiederholte Dalton unbeirrt, »dass Sie dem Unterricht ferngeblieben sind.«
»Ach ja? Von wem?« Easy dachte an den Tag, als er Jenny für die Semsterarbeit in Kunst im Wald getroffen hatte. Ihre letzte Schulstunde an dem Tag war eine Freistunde gewesen, und er war so darauf versessen, sie zu treffen, dass er den Fortgeschrittenenkurs in Kunstgeschichte hatte sausen lassen. Aber das war ein riesiger Kurs, der im abgedunkelten Berkman-Meier-Auditorium stattfand, und Professor Johnson bildete sich ein, die Schüler hielten es für ein Privileg, an seinem Kurs teilzunehmen. Darum machte er sich nie die Mühe, die Anwesenheit zu überprüfen. Wenn der Professor ihn nicht hatte auflaufen lassen, wer dann?
»Anonym.« Dalton spielte den starken Maxe, weil er wusste, dass er nichts gegen ihn in der Hand hatte. Easy entspannte sich ein wenig. »Und aufgrund eines Gerüchts kann man Sie nicht rauswerfen – das stimmt. Aber es hat zur Folge, dass Sie zwei weitere Wochen das Gelände nicht verlassen dürfen. Und wenn Sie bei einer anderen Verfehlung erwischt werden, nun, dann bin ich nicht mehr in der Lage, Ihnen zu helfen.«
Du wärst auch der Letzte, den ich um Hilfe bitten würde , wollte Easy sagen. Aber stattdessen stöhnte er auf, denn ihm fiel der Ausflug nach Boston am nächsten Wochenende ein. Das Ritz. Jenny. Jenny in einem sexy Outfit – das klang so verlockend. »Das verstehe ich nicht – es ist doch unlogisch. Ich hab mir nichts zuschulden kommen lassen. Können Sie mich nicht in Ruhe lassen?«
»Regeln sind Regeln. Sie haben doch gewusst, was Bewährung heißt. Sie hätten eben klüger sein sollen.«
»Regeln sind Regeln«, wiederholte Easy gedehnt. »Aha. Das klingt aus einem Mund wie dem Ihren ja seltsam.« Easy sagte das ganz ruhig und beobachtete die Reaktion auf Daltons Gesicht. Der Typ nahm einen Job an einem kleinen privaten Internat an und versuchte innerhalb der ersten zwei Wochen, eine – oder mehr – Schülerinnen anzubaggern? In Kentucky würde man ihn dafür hinters Schulgebäude zerren und windelweich prügeln, bis ihm klar war, wie sich ein Gentleman zu benehmen hatte. Und dieser Typ kehrte hier den selbstgerechten Erziehungsberechtigten heraus. Easy blickte auf das Namensschild mit ERIC DALTON, das auf seinem Schreibtisch stand. Was für ein Heuchler!
Eine lange, unangenehme Stille lag im Raum. Easy grübelte, was Dalton wohl sagen würde. Schließlich räusperte sich Dalton. »Ich weiß nicht, was Sie damit andeuten wollen, aber ich an Ihrer Stelle würde mir nicht den Kopf über andere zerbrechen, sondern mich darauf konzentrieren, dass ich nicht rausgeschmissen werde.«
»Warum hängen Sie eigentlich den starken Macker raus?« Dalton hatte eindeutig ein schräges Bedürfnis, sich mächtig zu fühlen und niederzumachen, was ihm an niederen, ungelegenen Schülern im Weg stand.
»Warum sind Sie so ein Dummkopf? Waverly ist das Beste, was Ihnen passiert ist. Also reißen Sie sich lieber zusammen und hören Sie auf, sich Ihre Zukunft zu vermasseln.« So was in der Art hätte auch aus dem Mund von Easys älteren Brüdern blubbern können, nur, dass die drei älter waren als Dalton. Und selbst wenn sie in Easy einen faulen Sack sahen, waren sie lange nicht so herablassend wie Dalton. Wie tickte dieser Kerl überhaupt?
»Vielen Dank für die Beratung, Herr Vertrauenslehrer.« Easy schüttelte den Kopf und stand auf, um zu gehen. »Ich muss zum Mittagessen – ich will nicht, dass jemand behauptet, ich hätte gefehlt.«
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Montag, 16. September, 17:43 Uhr
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Einführungsritus
Meine liebsten Café-Society-Schönheiten, Initiationsritual Pizza-Soiree HEUTE ABEND. Ein Muss für alle, die in der Gunst des Clubs bleiben und am Treffen in Boston nächste Woche teilnehmen wollen. Dumbarton 303, um 20 Uhr. Ich erwarte euch alle! Mr Pardee, alias Senor Protz, hat heute Abend Karten für die Philharmonie. (Er hat Mrs Pardee außerdem Blumen