Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
nicht. Solange Miss Bostwick uns nichts Genaueres überbringt, können wir behaupten, wir hätten nicht gewusst, dass unser Meister unser Verhalten schlecht heißen würde.« Diese Annahme war nicht wirklich wahrscheinlich, das war mir sehr wohl bewusst, aber an irgendetwas musste man sich in einer ausweglosen Situation doch klammern, oder nicht?
» Ich glaube nicht, dass sie uns für so dumm halten.«
» Hast du eine bessere Idee?«
» Nein.«
Wir erreichten die Haltestelle und ließen uns niedergeschlagen auf die Bank sinken. Nachdenklich starrte ich die durchfeuchten Spitzen meiner Stiefel an, die ebenso wenig einen Rat wussten wie wir . »Fährt um diese Zeit überhaupt noch eine Rayne?«, wollte Myriam übellaunig wissen.
» Woher soll ich das wissen?«, fuhr ich sie an.
Normalerweise gerieten wir nie in Streit. In all den Jahren, die wir schon miteinander verbrachten, war es nie zu einer ernsthaften Auseinandersetzung zwischen uns gekommen.
»Sollen wir lieber laufen?«
» Ziemlich weit«, brummte ich.
» Besser als hier noch drei Stunden zu sitzen.«
Myriam wrang das Regenwasser aus dem Saum ihres Mantels. Dabei fiel mir auf, dass wir uns seit langer Zeit nicht mehr so sehr wie gewöhnliche Menschen verhalten hatten, wie in diesem Augenblick. Seltsamerweise war es ein gutes Gefühl.
»Gut, lass uns gehen.« Ich nahm den Schirm, den sie zwischen uns gelegt hatte, und spannte ihn auf. »Kommst du?«
Schief lächelnd trat sie zu mir und hakte sich bei mir unter . »Wir brauchen Verbündete«, merkte sie wie nebenbei an.
» Verbündete? Das klingt als würdest du ein Verbrechen planen.« Der Gedanke gefiel mir nicht so richtig.
» Wer weiß.« Sie grinste breit, als störe es sie nicht im Geringsten des Nachts in strömendem Regen durch die dunklen Straßen einer Großstadt zu gehen. Das war Myriam Haydon, durchzuckte es mich mit einem Schmunzeln. Niemand sonst würde so schnell zu seiner guten Laune zurück finden. »Ich werde mich so bald wie möglich mit Noah treffen. Und du könntest Crevi warnen.«
» In Ordnung.« Das schien im Bereich des Möglichen. »Aber…was ist mit Vlain?«
» Du solltest dich Crevi und den anderen offiziell anschließen«, machte Myriam einen Vorschlag. »Du bist zum Teil ein Dämon und könntest…«
» Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Vlain kennt mich doch.«
» Dann versuchst du eben, ihn für unsere Zwecke einzuspannen. Wenn es zu Crevis Sicherheit geschieht wird er dir bestimmt zugetan sein.« Sie zwinkerte mir zu und ich verstand die Andeutung nicht ganz. Sie war diejenige von uns, die sich die letzte Zeit mit Vlain beschäftigt hatte.
» Du willst mir damit sagen, dass er es ernst meint?«
» Wer weiß.« Sie mochte es, mich auf die Folter zu spannen.
Ich erwiderte nichts mehr. Es war sinnlos sie zu bedrängen, wenn sie ihre Geheimnisse lieber für sich behalten wollte. Stattdessen konzentrierte ich mich ganz darauf, mir vorzustellen, wir wären bereits Zuhause, in der warmen und behaglichen Wohnung über meinem Bücherladen.
Erwähnte ich, dass ich dem Regen nicht sehr zugetan war?
Wenn nicht, habe ich es soeben getan.
16. Abwarten
Unauffällig beobachtete Vlain seine Schwester, die gemeinsam mit Crevi vor ihm herging und sich dabei über irgendein nichtiges Gesprächsthema ausließ. Wenngleich Vellény heute die Kleidung einer Bürgerlichen trug – ein hellblaues Chemisenkleid aus einfacher Baumwolle – so fragte er sich doch ständig, ob es eine gute Idee gewesen war, sie zu ihrem Treffpunkt mitzunehmen.
Gleich würden sie Yve und Jayden wiedertreffen und der Ernst der Lage würde wie eine gierige Falle nach ihnen schnappen. Doch noch war die Falle nicht ausgelöst. Vlain hoffte inständig, Crevi würde sie nicht allzu bald aktivieren.
Außerdem gab es da noch immer seinen Auftrag…
Wie dem auch sei, er fühlte sich trotz allem wunderbar und konnte sich gar nicht recht von den Ereignissen die Laune verderben lassen. Sobald er Crevi anschaute und sie ihm ein Lächeln schenkte, war alles andere vergessen.
Selbst der stetig wachsende Appetit seines Dämons machte ihm nur halb so viel zu schaffen, wie sonst.
Das Café Sandläufer tauchte an der nächsten Ecke vor ihnen auf. Die weißen Holztischchen, die draußen aufgestellt waren, hießen sie gleich willkommen. Durch die Scheibe der Fassade konnte er die Rebellin und den Visionär bereits ausfindig machen.
Noch einmal sah er zu Vellény. Sie hatte ihn und Crevi gebeten, die
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