Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
war, dass man sich nur schwer vorstellen konnte, er würde sich bewegen lassen. Man fand Ferngläser, Lupen, Federhalter, Tintenfässer, Lesezeichen. Mitten im Raum erhob sich ein riesiges Teleskop, das hier unten ohnehin niemand gebrauchen konnte. Auf einer Reihe von Tischchen weiter hinten standen Einmachgläser mit Süßigkeiten, Bonbons, Lutschern und Kaffeebohnen. Es gab Körbe mit Seifen, kunterbunte Blumentöpfe, Schubladen voller Kräuter. Fässer mit Schwarzgut waren in einer Nebenkammer gelagert worden, deren Wand aus einem einzigen Kleiderschrank zu bestehen schien. So wirr und ungeordnet stapelten sich die Stoffe in den Regalen. Zum Teil hingen sie von einer Wäscheleine aus Zwirn, die quer durch die Höhle gespannt war. Gedämpfte Lampions in allen Farben tauchten diese unwirkliche Welt in ein schwaches Licht, das einen an der Hand nahm und die Magie dieses Ortes fühlen ließ.
»Wow.«
» Das habe ich vorhin auch gedacht. Und«, Yve trat neben ihn und holte einen kleinen Gegenstand hervor, der an einer Kette baumelte. Vlain brauchte nicht lange, um eine Glasperle zu erkennen. »Wir haben, wonach wir gesucht haben. Ennyd hat sie, als er das erste Mal in den Brunnen gestiegen ist, gefunden und seitdem hier unten in seiner Schatzhöhle verwahrt.« Sie grinste. »Ein Wunder, dass er überhaupt wusste, wo sie sich befindet. Selbst den Brief hat er noch wiedergefunden. Angeblich hat dieses Durcheinander eine innere Ordnung.« Doch plötzlich schien sie besorgt. »Es gibt allerdings auch schlechte Neuigkeiten. Crevi versucht gerade, unseren netten Gastgeber wieder zusammenzusetzen. Bisher mit nicht allzu großem Erfolg.«
Wie zur Bestätigung hörte Vlain nicht weit entfernt ein unterdrücktes Stöhnen und gleich darauf die Stimme seiner Schutzbefohlenen, die ganz in die Rolle der Ärztin geschlüpft war, denn es war ein ihm eher unbekannter Klang, der ihren Worten inne wohnte.
Er erinnerte sich wieder daran, dass Ennyd bevor er in den Brunnen gesprungen war, ein Bolzen getroffen hatte. Sollte es sein, dass die Verletzung weitaus schwerwiegender wäre, als er angenommen hatte?
Was auch geschehen würde, die Perle, deretwegen sie hergekommen waren, befand sich nun in ihrem Besitz.
Die Rebellin führte uns in den hinteren Teil der Höhle, in dem der Dieb schweißgebadet in einem Sessel hing. Sein Oberkörper war entkleidet und äußerst konzentriert hantierte Crevi mit einer Pinzette und einem Skalpell im Bereich der Wunde, um etwas daraus zu entfernen. Jayden saß neben ihr und ging ihr assistierend zur Hand.
Myriam hatte die beiden kurz vor uns erreicht und kniete sich hastig neben die junge Frau, bat sie sie einen Blick auf die Verletzung werfen zu lassen.
Vlain bemerkte, wie Yve den Anblick der blutigen Finger und Instrumente mied. Auch ich war abrupt stehen geblieben und hielt mir, ohne es wohl verhindern zu können, eine Hand vor den Mund.
Vlain konnte den Geruch des Blutes ebenfalls deutlich wahrnehmen. Wenn das geweckte Verlangen auch weitaus schwächer war als zuvor, so ließ es ihn nicht gänzlich kalt.
Das tat es wohl nie.
» Wie steht es um ihn?«, fragte die Rebellin.
» Die Spitze des Geschosses war aufgesetzt und gräbt sich einen Weg tief in die Eingeweide. Noch haben wir den Dorn nicht erreichen können«, antworte Crevi abwesend und verfolgte, wie die Hexe mit geübten Fingern, über die sie vorher ein Paar Handschuhe aus dünnem Leder gezogen hatte, in der Wunde herumstocherte.
» Hmmm.« Auch die alte Frau schien mit ihren Hexenkräften nichts ausrichten zu können. Es musste irgendein Problem geben, das sich Vlains Verständnis entzog.
Ennyds Atem wurde flacher und auch seine Iris hatte einen matten Ton angenommen, der alles andere als gesund wirkte.
»Herrje!«, schimpfte Crevi, stand auf und lief einmal im Kreis herum. Sie war ehrlich verzweifelt, so viel stand fest. »Wir müssen doch irgendetwas tun können!«
Die Pupille des Mannes weitete sich und er stöhnte noch lauter. Sogleich rauschte sie zurück an seine Seite, versuchte , den Blutfluss zu stillen, der sich durch ein erschütterndes Husten noch verstärkte.
Crevi schloss die Augen. Sammelte sich.
Vlain hatte keine Ahnung, was sie tat. Es sah aus, als meditiere sie, löste dabei jedoch keine Sekunde die Finger von der Bauchdecke des Verletzten.
Ersichtlich war, dass Ennyds Atem sich beruhigte. Seine Lider fielen zu, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Doch dann durchlief ihn ein Zucken. Erfasste seine
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