Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
zu suchen.
Schlagartig wurde ihr bewusst: Sie kannte diese Stimme.
Grundgütiger! Sie kannte diese Stimme sogar sehr, sehr gut.
Wie hatte sie dies auch nur eine Sekunde nicht bemerken können?
Vlain.
3. Lug und Trug
Vlain sammelte sich. Er machte sich auf das Bevorstehende gefasst. Er wusste, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, vor dem er sich seit Tagen fürchtete. Liwy würde ihn zur Rede stellen.
Hatten sie sich zunächst über Belangloses unterhalten, war ihrer Stimme nun zu entnehmen, dass sie um Ernsthaftigkeit bat. Der Plauderton war verflogen und geschäftlicher Nüchternheit gewichen.
»Ich schätze, du weißt, warum ich dich treffen wollte.«
Tja! War es also so weit.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles läuft nach Plan«, räusperte er sich.
» Genau deswegen müssen wir reden.«
» Ach ja?« Irritiert verzog er das Gesicht. Sollte er etwa derart leicht zu durchschauen sein? Er spürte, wie seine Hände feucht wurden. Dabei kannte er ihre Art, ihn auf den Arm zu nehmen. Daran war nichts Außergewöhnliches.
Wenn er doch nur nicht so schrecklich nervös wäre!
Liwy lächelte geheimnisvoll. »Oh ja. Die Pläne unseres Meisters haben sich geändert.«
Hatten sie das?
»Inwiefern?«
Vlain w ar sich sicher, dass sie sein Herzpochen hören musste – und hoffte zugleich inständig, dass dem nicht so war.
» Der Häuptling verlangt von uns das Gegenmittel.«
» Und?«
Sie grinste spitzbübisch . »Er will, dass du es ihm beschaffst.« Das waren allerdings Neuigkeiten. Neuigkeiten, von denen Vlain nicht wusste, was er davon halten sollte.
» Ich dachte, ich sollte sie umbringen«, meinte er.
» Natürlich, das auch.«
Er musterte Liwy auf eine Erklärung wartend. Die Entwicklung der Ereignisse gefiel ihm nicht…
» Dein Zögern hat uns zu denken gegeben«, fuhr sie nun fort. Kommen wir also zur Strafpredigt . »Ich denke, dir ist bewusst, dass du die Frist längst überzogen hast. Deine Aufgabe bestand darin, die neue Schöpferin schnellstmöglich von der Bildfläche verschwinden zu lassen, damit niemand auf sie aufmerksam würde – und nun? Überall hört man Gerüchte über die Rückkehr eines Schöpfers, über ein weiteres dunkles Zeitalter, über den Untergang der Welt, der damit einhergehen könnte. Sie sollte längst tot sein!« Liwys Stimme nahm einen scharfen Unterton an. »Du«, sie tippte ihm hart gegen die Brust, »kannst dich glücklich schätzen, dass ich – und natürlich der Häuptling – eine so hohe Meinung von dir haben. Andernfalls wären wir längst eingeschritten. Selbst die Seelendiebe des Spindelmeisters haben sich nun in die Angelegenheit eingemischt! Unruhen zwischen der Bande und der Garde entstehen und das nur, weil du nicht gehandelt hast, als du es hättest tun sollen!«
Vlain ermahnte sich zur Ruhe. Nicht umsonst hatte er sich ihre Unterhaltung wieder und wieder ausgemalt, um im rechten Moment die richtigen Dinge zu sagen. Planung, darauf kam es an. »Das tut mir leid«, meinte er wie nebenbei, hob abwehrend die Hände und legte sich seine nächsten Worte sorgfältig zurecht. »Ich hätte mein Vorgehen genauer erläutern müssen.«
» Allerdings. Ich dachte schon, ich müsste die Angelegenheit in die Hand nehmen! Ich! Was hast du dir bloß dabei gedacht? Du weißt, ich kann nicht ständig für dich gerade stehen!«
Vlain konnte sich nicht erinnern, Liwy zuvor derart aufgebracht gesehen zu haben. Zumindest ihm gegenüber schlug sie gewöhnlich einen sanften Tonfall an.
»Ich wusste nicht, dass du zu dieser Annahme gelangen könntest.«
Sie schüttelte gespielt bekümmert den Kopf . »Du bist so ein selbstbezogener Widerling, Vlain.«
» Tatsächlich?« Er setzte sein freches Grinsen auf. »Liebes, du weißt doch, dass mich das nicht im Geringsten interessiert.«
Hätte er ihr etwa sagen sollen, dass er sich selbst kaum noch im Spiegel ansehen konnte?
Ein Lächeln ging über Liwys Gesicht. »Hast du nicht einen Moment daran gedacht, wie sehr ich mich nach dir verzehre?«
Wie von einem plötzlichen Verlangen ergriffen, zog sie ihn an seinen Mantelaufschlägen näher zu sich heran. Er ließ es ohne Gegenwehr geschehen. Dies war die Liwy, die er kannte.
Dennoch verflog seine Anspannung nicht. Entgegen seiner Erwartung stieg Widerwille in ihm auf. Fast musste er sich zusammenreißen, um sich nicht angewidert von ihr zu lösen. Es dauerte mehrere Sekunden, bis ihm bewusst wurde, dass nicht sie es war, die sich verändert
Weitere Kostenlose Bücher