Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
noch daran erinnern. »Sie wollten, dass ich als Letzter übrig bleibe. Dass ich sehe, was sie mit…meinem Volk tun. – Das sind keine Menschen mehr, sage ich euch. Das sind Ungetüme, bar jeden Gefühls!«
» Was ist in der Schatulle?«, wiederholte Ennyd die erste Frage.
» Ich weiß es nicht.«
» Das weißt du sehr wohl.«
» Ennyd, er hat doch gesagt, er weiß es nicht…«
» Was ist darin?«
» Bitte, man hat mir nicht gesagt, was sich darin befindet. Irgendetwas Wertvolles. Geld vielleicht? Ich habe nicht die geringste Ahnung!«
» Nein?« Das Phantom tat einen drohenden Schritt nach vorn, während sich die Eisadern unter seiner Augenklappe hervor schälten.
» Gut, gut, es ist kein Geld!«, kreischte der Mann wie von Sinnen. »Es ist ein Brief! Die blonde Frau hat gesagt, ihr würdet kommen und ihn holen! Sie hat gesagt, die Schöpferin würde hier auftauchen und sich danach erkundigen. Sie hat mir verboten, euch von ihr zu erzählen. Ich konnte nichts sagen, versteht ihr?«
» Dennoch hast du es getan.« Ennyd öffnete die Schatulle und zog einen eingerollten Brief hervor, betrachtete ihn kurz. »War sonst noch etwas dabei? Hat die Frau den Brief gelesen?« Als er das Schriftstück unmittelbar vor das Gesicht des Gefangenen hielt, zündete ein greller Lichtblitz, der Crevi die Augen zusammenkneifen und den Mann frenetisch loskreischen ließ.
» Es war noch ein kleiner Gegenstand dabei! Ich habe ihn nicht gesehen, aber…die Frau meinte, sie würde ihn für sich behalten.«
» Wie konnte sie dem Schutzzauber widerstehen?«
Eben diese Frage hatte auch Crevi sich gestellt. Wie war es möglich, dass die Schutzvorrichtungen ihres Vaters bei Liwy keine Wirkung zeigten? Bisher war Ennyd die einzige Ausnahme gewesen.
»Schutzzauber?«
» Der Lichtblitz«, brummte Ennyd ungehalten.
» Gütiger Schöpfer, sie kommen!«
» Was?«
» Tötet mich, bitte!«, flehte der Mann hemmungslos heulend.
Crevi u nd Ennyd tauschten einen Blick. Ennyd zerrte sie in eines der leer stehenden Häuser durch eine eingetretene Tür, wo sie sich unter die Fensterbank hockten und durch die zerbrochenen Scheiben spähten.
Mehrere Dämonen betraten den Platz. Sie unterhielten sich laut und grölend. Einige von ihnen trugen Leichen über der Schulter, zogen weitere Tote schlaffen Getreidesäcken gleich hinter sich über den Boden, wo sie tiefe Spuren hinterließen. Dabei scherzten und plauderten sie, als verrichteten sie ihr gewöhnliches Tagwerk an einem wunderschönen Sommertag.
Es war surreal.
Eine barsche Frauenstimme ließ sie unvermittelt in ihrer Unterhaltung innehalten.
Die Köpfe der Männer flogen herum. Liwy und ihr Begleiter hielten forschen Schrittes auf sie zu. »Was tut ihr denn?«, herrschte die Dämonin sie an. »Wir sollten hier längst fertig sein und ihr schleicht herum, als hätten wir alle Zeit der Welt! Ist es denn zu viel verlangt, einmal ordentlich aufzuräumen? – Wo sind Cissy und Larván mit ihren Gruppen? Es liegen nach wie vor überall Leichen herum!«
» Liv, reg’ dich nicht so auf. Wir sind mit unserem Bereich fast fertig«, rechtfertigte sich der Anführer dieser Truppe.
» Du wagst es mich anzulügen?« Liwy schlenderte auf Bjurdil zu. Sanft legte sie ihm einen Finger unters Kinn und zwang ihn in ihre lächelnden Augen zu blicken. »Du wagst es, mir zu widersprechen?«
» Herrin, ich…«
Sie zog eine Augenbraue hoch. Holte tief Luft. Dann zog sie ihm die zu Klauen gekrümmten Finger quer durchs Gesicht.
Bjurdil entwich ein entrückter Laut. Seine Haut klaffte auseinander und Blut sickerte aus den frischen Wunden über die sonst makellose Haut. »Ich bitte um Vergebung, Herrin. Ich wollte dich nicht verärgern.«
Sie winkte ab, befahl : »Lasst die Leichen liegen und zischt ab! Ich will euch nicht mehr trödeln sehen.« Ihre Untergebenen taten wie geheißen.
Schließlich wandte sie sich ihrem Begleiter zu . »Diese Laien machen mich ganz krank!«, stöhnte sie. »Ich bin wirklich froh, dass wir uns heute sehen können.«
Crevi horchte auf.
Der Mann mit der dunklen Kapuze musste eine besondere Stellung inne haben.
» Ich ebenso.« Beim Klang dieser Stimme, überlief sie eine eiskalte Gänsehaut. Tief, warm, wohlklingend – und irgendwie vertraut. Es war nicht irgendeine Stimme, es war die Stimme eines Menschen, der zu jeder erdenklichen Grausamkeit fähig war. Sie konnte nicht sagen, woher dieses Gefühl rührte. Es war einfach da und gab ihr das Bedürfnis, irgendwo Halt
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