Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
war. Dass sie – als die Schöpferin – die Einzige war, der es möglich sein würde, das Heilmittel gegen den jahrhundertealten Fluch zu finden.
Und nicht nur das! Sollte Crevi versagen, sollte ihr – wie Liwy absurder Weise behauptet hatte – ihre Macht zu Kopf steigen, wer könnte sie nach ihrem Sturz ersetzen und der neue Hoffnungsträger einer besseren Zukunft werden?
Wie hatte Liwy es noch ausgedrückt?
Was ist, wenn du dich vergisst? Was, wenn du dich verlierst? Wer wird nach dir kommen? Wer wird dich ersetzen und es besser machen?
Bei all dem Wahnsinn, der die Dämonin zu beherrschen schien, so be hielt sie in diesem Punkt doch recht.
Crevi brauchte für den Fall ihres vorzeitigen Dahinscheidens einen Nachfolger!
Doch wem konnte sie so vorbehaltlos vertrauen?
Sie hatte dieser Tage nicht viele Freunde. Das stand fest.
Sie spürte auch eine Art Erleichterung, wenn sie daran dachte, endlich von meiner Gegenwart erlöst zu werden.
Noch immer fühlte sich Crevi tief verletzt.
Natürlich wusste sie, dass es sie eigentlich nichts anging, was da vor längerer Zeit zwischen mir und der Dämonin vorgefallen war. Doch wie hatte ich nur versuchen können, sie die Vorkommnisse in der Herberge vergessen zu machen? Vertraute ich ihr denn nicht genug, um sie zumindest das, was sie ohnehin gesehen hatte, wissen zu lassen? Sie verstand mich einfach nicht. Sie hatte geglaubt, die Zeit der Geheimniskrämerei hätten wir überwunden.
So viel also zu unserer Freundschaft.
Um meinetwillen versuchte sie jedoch, mir eine geglückte Gehirnwäsche vorzuspielen. Das war allerdings gar nicht so einfach, wie sie sich nun eingestehen musste.
Es gab so vieles, das sie mich gerne gefragt hätte.
»Wir sind da«, sagte ich und erst jetzt bemerkte Crevi, dass wir den Ort erreicht hatten.
Die kleinen, aber gemütlichen Häuschen, die wir zuvor nur aus der Ferne gesehen hatten, ragten nun überall um uns herum auf und während wir zwischen den geschäftigen Menschen hindurch ritten, die sich nicht an unserer Anwesenheit störten, drang Crevi der Geruch von gebratenem Fleisch und warmen Gemüsesuppen in die Nase und ließ ihren Magen knurren.
Ein breiter Pfad bildete die Hauptverkehrsstraße, die als solche nur aufgrund der treibenden Massen und der im Schneematsch feststeckenden Ochsenkarren sowie des Lärmpegels zu erkennen war. Zu beiden Seiten drängten sich mit Stroh gedeckte Bambushütten, baufällige Holzschuppen und vom Zahn der Zeit verwitterte Steinbauten dicht an dicht.
Über alledem hing der Geruch von Vieh und Mensch gleichermaßen und die Sprachfetzen, die zu Crevi hinüber wehten, klangen mehr nach einem unverständlichen Kauderwelsch denn nach dem Elenyrischen.
Wenn sie jetzt an die Pracht und Erhabenheit Lhapatas zurückdachte, erschien ihr dieser einfache, ländliche Ort, schäbig und unbedeutend. Doch aus irgendeinem Grund fühlte sie sich gleich geborgen.
»Es gefällt dir hier, nicht wahr?«, fragte ich sie neugierig über die Schulter und schenkte ihr den Ansatz eines Lächelns.
Crevi, überrascht, dass ich ihre Gedanken erraten hatte, nickte . »Es scheint mir viel ungezwungener als anderswo. Ohne diese Aufgesetztheit und falsche Fröhlichkeit. Einfach…natürlich. Irgendwie ehrlich. Ich weiß nicht recht.«
» Ich schätze, ich weiß, was du meinst«, erwiderte ich nur.
» Ja, du kennst dich damit vermutlich bestens aus.«
» Was meinst du damit?«
Crevi unterdrückte ein triumphierendes Lächeln und fuhr fort : »Ich meine, du bist in einer Adelsfamilie aufgewachsen. Und vor hundert Jahren waren die wohl noch penibler als sie heute sind, oder etwa nicht?«
Sie beglückwünschte sich zu ihrer Frage als Reaktion auf meine Gedanken, die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen und mir wohlmöglich doch etwas über meine Vergangenheit zu entlocken. Möglicherweise konnte sie in Erfahrung bringen, unter welchen Umständen ich in meiner Jugend mit der Schlange zu tun gehabt hatte. Sie nahm an, dass es sich bei Liwy um eine andere junge Adelige gehandelt haben musste; eine andere Adelige, mit der ich wie zu Aimee eine Beziehung gepflegt hatte?
Ich verzog kurz das Gesicht, dann nickte ich : »Ja, da hast du in der Tat recht.«
Das war jetzt allerdings eher enttäuschend.
»Hm. Und du hast den Luxus nie vermisst?«
» Welchen Luxus?«, hakte ich eine Spur belustigt nach und Crevi bekam das ungute Gefühl, dass ich ihre Absicht durchschaut hatte. War sie denn eine so schlechte Lügnerin? Oder aber ,
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