Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
Wochen auch vornehm aus ihren Gedanken zurückgehalten hatte. Es war mir unhöflich erschienen, jetzt da wir so oft miteinander in Kontakt traten, sie zusätzlich heimlich auszuspionieren.
»Morgen erreichen wir die Stadt der Städte«, flüsterte Crevi in der letzten Nacht vor unserer Ankunft in der Hauptstadt.
Die Tage waren viel zu schnell verstrichen. Während unserer dreiwöchigen Reise von Skogak nach Lhapata war aus dem Sommer der Spätsommer geworden und der Herbstanfang stand vor der Tür. Manchmal, dachte ich, konnten drei Wochen ein Leben bedeuten. Denn jahrelang hatte ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt, wie in der letzten Zeit, die ich mit Crevi verbracht hatte.
»Ja.« Ich verzog unglücklich das Gesicht, ob ihrer Feststellung. Dies bedeutete, dass ich mich anderen Dingen zuwenden musste. Mein Schatten müsste alles Weitere in die Wege geleitet haben und würde von mir erwarten, dass ich sie aufsuchte.
» Was ist mit dir?«
» Nichts.« Es war eine Lüge. Eine dumme Lüge, geboren aus der Angst vor der Wahrheit. Ich wusste, ich würde sie vermissen, nur wollte ich mir das nicht eingestehen. Selten war mir so schwer zu Mute gewesen.
» Bist du sicher?«
» Ja.« Ich nahm meinen Mut zusammen, um sie von meinem baldigen Abschied in Kenntnis zu setzen. »Crevi, wir werden uns die nächste Zeit nicht sehen können.«
» Warum?« Sie starrte mich an und die Furche, die sich zwischen ihren Augenbrauen bildete, betrübte mich noch mehr.
» Ich muss ein paar Dinge regeln.«
» Mit deinem Schatten?«
» Genau.« Ich hatte es nur für fair gehalten, ihr ein wenig mehr von meinem Privatleben mitzuteilen und war dabei nicht um meine wertvolle Verbündete herum gekommen.
» Wie lange…wird das dauern?«
» Wenn ich das wüsste.« Ich schlug den Kragen meines Flickenmantels hoch und wich ihrem Blick aus.
» Du wirst doch wiederkommen?«
Ich holte tief Luft und versuchte , meine Zweifel zu verdrängen. »Sobald ich kann.«
14. Die Moores
Es war ein atemberaubender Anblick. Die Tore von Lhapata, dem Juwel des Nordens, wie man die Metropole hierzulande nennt, ragte übermächtig und gigantisch vor ihnen auf. Schwere Tore, mit Eisen beschlagen und runenartigen Intarsien verziert, bildeten den Eingang. Dicke weiße Mauern schützten vor Gefahren.
Crevi, Vlain, Yve und Jayden durchschritten dicht aneinander gedrängt das zweiflüglige Portal, das sie willkommen hieß. Sie waren nicht die einzigen Reisenden, die Einlass erbaten. Von allen Seiten wurde gedrängt, geschubst und geschoben, bis sie endlich durch das Tor hindurch waren. Dies trübte die Magie ein wenig, doch letztendlich konnten sie stehen bleiben und die Mauern aus einiger Entfernung bewundern.
An der ersten Straßenecke hielt Crevi an und bestaunte von dort die Sicherheitsanlage der Stadt. »Mein Gott, die Mauern müssen sechs Meter dick sein sein!« Entlang des Wehrganges gewahrte sie außerdem in die Mauer eingegliederte Katapulte und Kanonen sowie große Kessel, aus denen bei einer Belagerung Pech und Schlacke auf die Angreifer gegossen werden konnte.
» Das hier ist die Zukunft, Miss Sullivan«, entgegnete Vlain und Stolz schwang in seiner Stimme mit.
Sie lächelte. Diese besondere Melodie mit der er ihren Namen aussprach, brachte sie immer wieder aus dem Gleichgewicht. Sie wusste nicht, wann das begonnen hatte.
»Das ist wirklich unglaublich«, bekräftigte Crevi und schaute die Straße entlang. Es sah anders aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Ganz den Beschreibungen eines wahren Juwels entsprechend. Die Straßen waren sauber, eben und in der Mitte von einem weißen Streifen in zwei Hälften geteilt. Die Bürgersteige waren gepflastert und penibel von der Straße getrennt. Weiterhin entdeckte sie eine gigantische Sonnenuhr aus goldenem Messing an einer Kreuzung. Die Häuser waren viel größer, als in ihrer Heimatstadt. Zumindest kam es Crevi so vor. Zumeist grau oder weiß wirkten sie fast edel, ordentlich und trotzdem nicht weniger prächtig oder prunkvoll.
» Kommt, lasst uns ein wenig bummeln und sehen, wo wir uns versorgen können«, schlug Vlain vor und setzte sich in Bewegung.
Dicht auf seinen Fersen schlossen sich die drei anderen an.
Crevi kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Überall waren Menschen.
Sie kamen ihnen auf den Gehwegen entgegen, huschten über die Straßen, liefen von einem Geschäft ins nächste oder warteten ungeduldig auf eine Droschke. Pferde wieherten. Die Stadtwache
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