Beseelt
entscheiden, ob du weitergehst oder in die physische Welt zurückkehrst.“
Anstatt ihr, wandte Niam ihre Aufmerksamkeit dem Krieger an ihrer Seite zu.
„Was wirst du tun, wenn meine Schwester nicht aus dem Kelch der Hohen Schamanen trinkt? Wirst du eure Handfeste einen Fehler nennen und in die Behaglichkeit deiner Burg und zu denen, die dich lieben, zurückkehren?“
„Im Leben hast du mich nicht gekannt, also werde ich deine Frage nicht als Beleidigung auffassen. Ich glaube nicht, dass du vorhattest, mich zu kränken, deshalb werde ich dir antworten. Ob Brighid aus Eponas Kelch trinkt oder nicht, hat keinen Einfluss auf unsere Ehe. Wo sie hingeht, werde auch ich hingehen. Ich werde bei ihr sein, sollte Feuer versuchen, uns zu verbrennen, sollte das Meer versuchen, uns zu ertränken, sollte die Erde unter uns beben. Und ich werde bis zu meinem Tod ihren Namen wie den meinen ehren – und wenn Epona es so will, sogar darüber hinaus.“
„Weil du einen Eid geschworen hast, der deiner Antwort sehr ähnlich war?“, fragte Niams Geist ungerührt von der leidenschaftlichen Erklärung des Kriegers.
„Weil ich, als ich den Eid schwor, ihr mein Herz geschenkt habe. Für mich ist das ein und dasselbe.“
Endlich lächelte Niam. „Auch wenn du nur ein Mensch bist, magst du ihrer würdig sein.“ Dann heftete sie ihren Blick wieder auf sie. „Warum möchtest du eine Hohe Schamanin werden, Brighid?“
Die Frage kam so überraschend, dass Brighid nur blinzeln und die schöne Zentaurin anschauen konnte, die im Leben so zerbrechlich gewirkt hatte und nun im Tod so stark und selbstbewusst war.
„Antworte jetzt, Brighid Dhianna!“
Niams Mund formte die Worte, doch die Stimme war kraftvoll und mächtig und trieb sie an.
„Ich wünsche, eine Hohe Schamanin zu werden, weil ich es leid bin, der Verantwortung zu entfliehen, mit der ich geboren wurde. Zu viele Tragödien – vom Tod eines jungen Mädchens vor Jahren bis kürzlich zu deinem Tod – sind geschehen, weil ich mich geweigert habe, meine Bestimmung anzunehmen.“
„Was ist deine Bestimmung?“
„Den Schaden zu beheben, den die Herrschaft meiner Mutter hinterlassen hat.“
„Und wie steht es mit deinen persönlichen Bedürfnissen?“
Brighid reckte das Kinn. „Ich gehöre zu Cuchulainn und er zu mir – unabhängig davon, ob ich die Fähigkeit erlange, meine Gestalt zu wandeln.“
Niam lächelte. „Als ich von persönlichen Bedürfnissen sprach, meinte ich nicht deinen Ehemann, Schwester. Als Hohe Schamanin wirst du über große Macht verfügen. Was ist damit?“
Dieses Mal überlegte Brighid, bevor sie antwortete. Schon immer hatte sie das Gefühl gemocht, die Seelen von Tieren zu spüren. Sie hatte darauf vertraut und es sich zunutze gemacht. Und sie erinnerte sich an die Aufregung, die sie beim Einatmen von Cus Seele empfunden hatte. Es war schwindelerregend gewesen. Nicht nur, weil sie ihn das erste Mal küsste, sondern auch, weil sie die Macht hatte, seine Seele in seinen Körper zurückzuführen. Sie konnte es Ciara, Cuchulainn und sogar Etain gegenüber abstreiten, aber sie wusste, tief in ihrer Seele genoss sie diese Macht, die in ihrem Blut schwelte.
Langsam hob sie den Blick und sah ihrer Schwester in die Augen. „Ich denke, ich werde sehr vorsichtig sein müssen, um die große Macht weise einzusetzen – ich muss mehr auf die Göttin und mein Gewissen hören als auf meine Gefühle und Sehnsüchte.“
Niam lächelte strahlend. „Dann möge dich Epona mit ihrem Kelch segnen.“
Sie machte eine ausholende Geste mit beiden Armen und der Nebel wallte auf, teilte sich und gab eine Steintreppe frei, die nach oben führte und in weiterem Grau verschwand.
Brighid drehte sich um, um sich von ihrer Schwester zu verabschieden, aber die Nebelwand hatte sich bereits wieder geschlossen und verbarg die Zentaurin. Sie straffte die Schultern und sagte zu Cuchulainn: „Gehen wir.“
45. KAPITEL
D ie Treppe war breit genug, dass Cuchulainn neben Brighid hergehen konnte. Als sie in den Nebel traten, hielt er sein Schwert parat. Vielleicht hätte es ihr kein Gefühl der Sicherheit geben sollen, doch das tat es.
Endlich erreichten sie die letzte Stufe, wo ihnen warmer Wind ins Gesicht wehte. Die Nebelschwaden lösten sich auf und sie sahen, dass sie auf einer Plattform oberhalb eines glitzernden Flusses aus Licht standen. Ihre Blicke wurden magisch vom Wasser angezogen. Die Flüssigkeit darin wirbelte herum und Szenen aus ihrem Leben nahmen in ihrer
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