Beseelt
Mal war es klar. Der Herzschlag ihres Ehemanns war der Takt des Lebens, dem sie folgen würde.
Also drückte sie ihren Kopf an seine Brust und ließ sich von seinem starken Herzschlag leiten.
Da-dumm … da-dumm … da-dumm … da-dumm …
Der Klang war magischer als der einer Trommel, ursprünglicher und echter, und sie würde diesem Rhythmus frohen Mutes bis ans Ende der Welt folgen.
Als ihre Seele sich aus ihrem Körper löste, war es ein völlig anderes Gefühl als in ihren Träumen oder während des Magischen Schlafs. Sie war umgeben von der Wärme aus Cuchulainns Herzschlag, und einen Moment lang verharrte sie und lauschte.
„Du hattest recht. Es war nicht so schwer, wie ich gedacht habe.“
Cuchulainn stand neben ihr, er strahlte in goldenem Glanz. In einer Hand hielt er ein schimmerndes weißes Schwert.
„Es ist mit dir gekommen“, sagte Brighid.
„Ich denke, mein Griff war so fest, dass es keine andere Wahl hatte.“
Er strich ihr über die Wange. Die Berührung war wie eine leichte Brise auf ihrer Seele.
„Du bist unglaublich schön, so silbrig schimmernd.“
„Du glänzt golden“, sagte sie und berührte sanft seine Schulter.
Er schaute an seiner Seelenform hinunter und hob dann wieder den Blick. „Gehen wir.“
„Wir folgen den Steinen. Auf dem Hinweg immer rechtsherum, auf dem Rückweg nach links.“ Sie drehte sich in die richtige Richtung und durchlief das schneckenförmige Labyrinth.
Während sie den Weg entlangschritten, bemerkte Brighid, dass die Wände sich veränderten und zu einer gewaltigen Höhle wurden. Als sie am Ende ankamen, war das, was zuvor nur ein schmaler Spalt in der Rückwand gewesen war, nun ein breiter Durchgang mit einer grob behauenen Tür aus Stein, über der das Wort
Awen
stand.
„Inspiration“, flüsterte sie. „Das bedeutet es in der alten Sprache der Schamanen.“
„Weißt du das von deiner Mutter?“
Brighid spürte, wie ihre Seele vor Aufregung erschauerte. „Nein. Niemand hat mir das beigebracht. Ich verstehe es einfach so.“
„Dann ist das der Weg, den wir einschlagen sollen.“
Cu öffnete die Tür und hob beschützend sein Schwert. Bevor er den ersten Schritt tat, berührte sie seinen Arm. „Ich muss hier vorgehen, Cu.“
Er nickte und trat beiseite, damit sie vor ihm durch die Tür treten konnte. Sie schnappte nach Luft und verschwand.
„Brighid!“, rief er und machte sich mit gezücktem Schwert bereit, sich hinter ihr in die Dunkelheit zu stürzen.
Ihr Lachen perlte zu ihm herauf. „Es ist nicht schlimm. Entspann dich und lass dich treiben.“
Er würde sich treiben lassen, aber nur weil sie da unten war. Entspannen hingegen konnte er sich nicht. Die Zähne zusammengebissen und das Schwert fest im Griff, trat er durch die Tür – und fiel. Er trudelte in weichen Spiralen rechtsherum und herum und herum. Es erinnerte ihn an die wenigen Male, als es am Tempel seiner Mutter ausreichend geschneit hatte, dass die Erde mit einer dicken weißen Schicht bedeckt war. Er, El und die Zwillinge hatten sich Schlitten gebaut und waren von allen Flächen hinuntergerodelt, die auch nur annähernd einem Abhang glichen.
Seine Füße berührten den Boden, und er brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Brighid und er standen direkt vor einem runden Portal.
„Sei vorsichtig. Das hier ist der Eingang zur Unterwelt. Die ist nicht unser Ziel“, sagte sie.
Ohne auf seine Antwort zu warten, trat sie hindurch und wurde von einem See aus Nebel verschluckt.
Der graue Dunst leckte an ihrem Seelenkörper, und Brighid zitterte. Sie hörte Cuchulainns überraschtes Keuchen und streckte eine Hand nach ihm aus, um ihre Finger mit seinen zu verschränken.
„Bei der Göttin! Hier haben wir uns in unserem letzten Traum getroffen“, flüsterte er ihr zu.
„Brighid …“ Die körperlose Stimme erhob sich aus dem Nebel und kribbelte ihr über das Rückgrat. „Brighid …“
„Wir sollten nicht hierbleiben“, sagte Cu angespannt.
„Warte. Ich kenne diese Stimme.“
Die Nebelwand teilte sich vor ihnen, und Niam erschien.
„Niam!“, rief Brighid aus und ging automatisch auf sie zu, doch ihre Schwester trat im gleichen Augenblick zurück, in dem Cuchulainns Griff um ihre Hand sich verstärkte.
„Schwester, auf dieser Reise sollst du nicht die Unterwelt betreten.“
Niams Lächeln erhellte ihr ganzes Gesicht und ließ Brighids Herz schwer werden.
„Ich bin nur hier, um dir eine Frage zu stellen. Die Antwort wird darüber
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