Besessen
fand keinen guten Grund, mich ihr zu widersetzen.
Ich bückte mich unter dem Messinggeländer durch und trat dicht an den Tank heran. Jeder meiner Schritte hallte wie ein Donnerschlag. Als ich die Glasscheibe erreichte, schob sich das Orakel mit langen trägen Bewegungen durch das Blut auf mich zu. Schwebend sah sie aus, als ob sie in der Luft wandelte.
Das Orakel kam heran. Ich presste meine Handflächen gegen den Tank. Ich hatte erwartet, dass das Glas kühl sein würde, doch jetzt spürte ich mit leichtem Widerwillen, dass das Blut dahinter Körpertemperatur hatte. Ich dachte, sie würde ihre Hände gegen meine an das Glas drücken, stattdessen krümmte sie die ihren zu Klauen. Im selben Moment schnürte es mir die Kehle zu.
Ich würde nicht an Atemnot sterben, aber ich war sicher, dass mir gleich der Kopf vom Hals gedreht würde.
Nein!, protestierte ich im Geist. Ich will so nicht sterben. Warum gibst du mir diese Information, nur um sie mit mir sterben zu lassen?
Ihr Griff löste sich. Die Lichter im Raum flackerten auf, und der Tank wurde dunkel. Plötzlich waren Max’ Arme um mich, zogen mich weg und aus dem Raum. Vampire in weißen Kitteln rauschten herein, um Anne zu versorgen.
„Was zur Hölle war das?“, wiederholte Max zum x-ten Mal an meiner Seite, während wir den Flur entlangeilten.
Ich konnte nicht antworten. Die Stimme des Orakels hallte durch meinen Kopf.
Er wird ein Gott werden.
Cyrus erwachte schreiend.
Mouse setzte sich an seiner Seite auf, ihr Arm lag um seine bloßen Schultern. Ihre Haut fühlte sich zu heiß und trocken an, was das glitschig kalte Gefühl seines schweißnassen Körpers unangenehm verstärkte.
„Du hattest einen Albtraum.“ Sie sagte es ohne Gefühl, nur als sachliche Feststellung.
Sein erster Impuls war, sie zu ohrfeigen, aber die inzwischen vertrauten Gewissensbisse durchfuhren ihn warnend, und er beherrschte sich. Cyrus erhob sich von dem schmalen Bett, das sie geteilt hatten. Er hatte förmlich darin geschwelgt, sie in den Armen zu halten, während sie schlief. Ein solches Gefühl kannte er nicht, es war mit nichts zu vergleichen, was er in seinem reichen, düsteren Erfahrungsschatz finden konnte. Aber jetzt, im nackten Licht des Tages, das schwach durch die Kellerfenster fiel, wirkte die Nacht irgendwie dreckig.
Er war ein jahrhundertealter Vampir gewesen, dem unbegrenzte Geldreserven und ein machtvoller Charme zur Verfügung standen. Es hatte niemals eine Zeit gegeben, wo er sich nicht nehmen konnte, was er wollte. Und er wollte mit Sicherheit nie eine schluchzende Frau durch die dunklen Stunden der Nacht trösten.
Außer Carrie.
Aufgebracht schnappte er sich sein – nein, des toten Priesters – Hemd vom Ende des Bettes und schlüpfte hinein. Allerdings nicht ohne einen erneuten Anflug von Ärger über die miese Qualität.
Wann er es ausgezogen hatte, daran konnte er sich nicht erinnern. Da war nur noch ein vager Nachhall davon, dass er es abgeschüttelt und sich umgedreht hatte, um Mouse in seine Arme zu schließen. Sie rief nach ihm, als er ins Badging, aber er beachtete sie nicht und knallte die Tür zu. Er brauchte Platz, Ruhe und Besinnung, um diesen fürchterlichen Traum aus seinem Kopf zu verjagen.
Er hatte von ihr geträumt. Wie alles, was mit Carrie zu tun hatte, konnte er es nur schwer vergessen. Im Traum hatte er sie in den Armen gehalten. Keine wollüstige Umarmung. Er hielt sie nur zärtlich umfangen. Sie ließ ihn ihre Haare streicheln, sie küssen und sagte ihm, dass sie ihn liebte. Als Carrie noch sein Zögling war, lavierte sie immer am Rande des Abscheus, wenn sie ihn berührte. In seinem Traum liebte sie ihn so, wie er geliebt werden wollte.
Dann schlug er die Augen auf und hielt den blutenden, herzlosen Leichnam seiner geliebten Elsbeth im Arm. Er hob sie hoch und schüttelte sie, versuchte verzweifelt, sie wiederzubeleben, wie in der Nacht, in der sie gestorben war. Ihre kastanienbraunen Locken und feinen Gesichtszüge verwandelten sich plötzlich in Carries hellblondes Haar und ihr markantes Gesicht. Das war der Moment, in dem er schreiend erwachte, um Mouse neben sich zu finden, und für einen grausigen Augenblick war er überzeugt, auch sie umgebracht zu haben.
Ich muss hier raus. Er beug te sich über den Hahn und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Ich verliere den Verstand.
Wütend schüttelte er den Gedanken ab. Zu viel war in seiner Vergangenheit passiert, zu viel Schrecken, zu viel Tod, als dass er wegen eines
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