Besessen
wie zu Hause fühlen. Sie selbst wollte es noch so weit schaffen, wie bis Tagesanbruch möglich war.
Als ob er sich in einer Stadt zu Hause fühlen könnte, wo um neun die Bürgersteige hochgeklappt wurden.
Nachdenklich stapfte er die Stufen zu Nathans und Carries Wohnung hoch und schüttelte den Kopf. Der letzte Ort, wo er sich eine Weile am Stück aufgehalten hatte, war Chicago. Blues und Fusel bis zum Morgengrauen. Das war nicht zu schlagen. Aber er hatte nicht lange dort bleiben können. Es gab zu viele Erinnerungen an Marcus. Zu viel Schmerz.
Nun wünschte er sich, er könnte dort sein. Wünschte, er könnte in Zimbabwe sein. Überall, nur nicht hier.
Keine Sekunde zweifelte er an Carries Geschichte. Nathan war höchstwahrscheinlich besessen. Aber während sie voller Hoffnung und Entschlossenheit war, konnte Max allenfallsden Grad seiner desillusionierten Verzweiflung etwas mindern.
Dämonische Besessenheit ließ sich bei einem Vampir nicht ohne drastische Maßnahmen kurieren. Diese Maßnahmen beinhalteten gewöhnlich die scharfe Spitze eines hölzernen Pflocks. Auch wenn er sich kaum vorstellen konnte, Nathan tatsächlich zu töten, wusste Max, dass es weit besser für ihn war zu sterben, als wenn er nach einer Wunderheilung damit konfrontiert würde, dass er einen grausamen Tod über unschuldige Menschen gebracht hatte.
Aus Gewohnheit warf Max seine Tasche ans Ende der Couch. Das letzte Mal, dass er in dieser Wohnung gehaust hatte, war während der Zeit, als er Nathan und Carrie half, Cyrus zu töten. Carrie war wirklich eine Nummer für sich. Zog allein los, um den Kerl zu stellen – nach allem, was er ihr angetan hatte. Max war nicht sicher, ob er unter den gleichen Umständen den Mut gehabt hätte, sich so zu verhalten.
In der Küche sah er mit schlechtem Gewissen den Kühlschrank durch. Es war egal, wie oft ihm jemand sagte, er solle sich wie zu Hause fühlen, er kam sich immer wie ein Schnüffler vor. Er nahm einen Blutbeutel heraus, goss ihn in den Teekessel und hoffte, dass Carrie nicht bei einem ihrer Experimente mit dem Inhalt rumgepanscht hatte.
Das Zischen des Brenners brachte ihm zu Bewusstsein, wie still es in der Wohnung war, und er begab sich zur Stereoanlage. Sein Blick wanderte über die Reihen der CDs. Leicht festzustellen, welche Nathan und welche Carrie gehörten. Nathan war ein Freund von mildem, stimmungsvollen klassischem Rock, er hatte eine anständige Sammlung von Zeppelin bis Floyd. Carrie besaß eine kleine, aber respektable Jazzsammlung und ein paar Popalben von fragwürdigem Geschmack.
Wie Öl und Wasser . Max lachte in sich hinein, während er ein Album von Led Zeppelin in den CD-Player gleiten ließ. Die Maschine rotierte, dann drangen die ersten Töne von Babe, I’m gonna leave you aus den Lautsprechern.
„Exzellent“, sagte Max zu niemand Bestimmtem. Er ging in die Küche, goss das warme Blut in einen Becher und setzte sich an das gesprungene Resopaltischchen. Zeit, die Stadt systematisch abzusuchen, hatte er sowieso nicht und beschloss, die Dämmerung abzuwarten und dann auf gut Glück loszuziehen. Wo immer Nathan war, er würde ihn finden. Er war es seinem Freund einfach schuldig, dass er wenigstens durch die Hand eines Vampirs starb, nicht durch einen Werwolfkiller, der nach Dreck und Lagerfeuer stank. Das Einzige, was Max mehr hasste als Werwölfe, waren Hippies, und zuweilen fand er es sogar schwierig, beide Arten auseinanderzuhalten.
Als das Tempo der Musik allmählich anzog, stand er auf, wanderte herum und schlürfte sein Abendbrot. Wohin er auch blickte, überall waren Bücher mit geprägten Rücken, Notizbücher, Stapel von Papieren und gerahmte Schnappschüsse in den Borden. Es war ein Heim. Hier war jemand zu Hause.
Max ergriff eins von den Fotos. Es war ein Souvenir-Schnappschuss, wie man sie in Vergnügungsparks kaufen konnte, ein gefrorener Augenblick in einer Achterbahn, bei Nacht natürlich. Niemals, so lange er ihn kannte, hatte Max gesehen, wie Nathan aussah, wenn er so viel Spaß hatte.
Carrie war gut für ihn. Ein Schmerz regte sich in Max’ Brust. Es wäre die Hölle auf Erden für sie, wenn Nathan starb. Nicht nur aufgrund der Blutsbande. Ob sie es sich selbst und einander nun eingestanden oder nicht, Carrie und Nathan liebten sich.
Die ständig wachsende Spannung des Songs begann an Max’ Nerven zu zerren. Er machte einen Schritt, um zum nächsten Stück zu wechseln, und das Bodenbrett knarrte. Da echote ein weiteres Knarren aus dem
Weitere Kostenlose Bücher