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Besessene

Besessene

Titel: Besessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Hayes
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gewagt und wollten das Kind der jeweils anderen großziehen, um zu sehen, wie die beiden sich entwickelten. All diese Vorstellungen waren absolut irrsinnig und ich konnte kaum erwarten, endlich eine Antwort auf meine Fragen zu bekommen. Doch es war wichtig, Mum nicht einzuschüchtern. Ich atmete ein paarmal tief aus und versuchte, mich wieder zu beruhigen.
    »Hast du Genevieves Mutter gut gekannt?«
    »Nein, aber ich wusste einiges über sie«, betonte Mum und ich hörte heraus, dass es nichts Gutes war. Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern. »Jeder wusste, dass sie Drogen nahm, aber niemand sah genau hin   … wirignorierten es einfach und wollten nichts damit zu tun haben, weil es so einfacher für uns war.«
    »Und   … was ist dann passiert?«
    Mum schloss langsam die Augenlider und ihre Stimme wurde leiser. Ich musste mich mit meinem Ohr zu ihr hinüberbeugen, damit ich sie verstehen konnte. »Sie wurde Mutter   … und von da an zerstörte sie nicht nur sich selbst.«
    Ich kannte die Antwort ja bereits, musste allerdings trotzdem noch mal fragen: »War ich auch dort   … zur gleichen Zeit wie Genevieve?«
    Mum ließ den Kopf auf die Brust sinken, was ihre Art war, ›Ja‹ zu sagen. Sie räusperte sich angestrengt. »In der Nacht, als ich mit dir aus dem Krankenhaus kam, hast du wie ein kleiner Engel geschlafen, so schön und ruhig, und auch am nächsten Morgen warst du   … ja, so friedlich.« Mum unterbrach sich und eine dicke Träne rann ihr über das Gesicht und tropfte auf ihr Bein. »Und da hörte ich wieder das Baby schreien   … ganz verzweifelt   … und so furchtbar trostlos. Da bin ich nach unten gegangen, um nachzusehen.«
    Ich schreckte hoch, weil Gemma ins Wohnzimmer stolzierte, als ob es ihr gehören würde. Sie rollte sich vor meinen Füßen zusammen und ich war froh über die Ablenkung und streichelte ihr Fell. »Und? Was hast du da gesehen?«
    Mum starrte vor sich hin und sagte ohne jeden Ausdruck in der Stimme: »Wir hatten damals gerade eine Hitzewelle und schon um neun Uhr morgens war es brütend heiß. Neben mehreren Abfalltüten sah ich einen Kinderwagen stehen   … und darin ein winziges Gesicht   … die Kleine war ganz schmutzig und ihre Windel voll   … sie ruderte verzweifeltmit ihren Ärmchen und eine Wespe kroch auf ihr herum. Das Gesicht war voller Flecken und so heiser war sie von dem vielen Schreien   …«
    Ein Kribbeln lief durch meinen Körper und ich wünschte, ich hätte Mum diesen Schmerz ersparen können. Plötzlich fielen mir auch Grans Worte wieder ein   – sie hatte doch von einem Todesfall wegen Drogenmissbrauch gesprochen, der Mum tief erschüttert hatte.
    »Und was war mit   … Genevieves Mum?«, fragte ich vorsichtig.
    Mum schüttelte den Kopf und fuhr sich hastig über das Gesicht. »Ich konnte nichts mehr für sie tun, keiner konnte mehr etwas für sie tun   … und ich war starr vor Entsetzen.«
    »Es war nicht deine Schuld«, sagte ich sofort, aber Mum ignorierte meinen Einwurf und fuhr mit derselben monotonen Stimme fort.
    »Trotzdem wusste ich genau, dass ich   … ich wohnte ja im gleichen Haus zu jener Zeit   … ich war auch Mutter und es war einfach meine Pflicht. Ich habe das so stark gespürt, dass nichts mich davon abhalten konnte.«
    Was sie da sagte, klang ein wenig seltsam, doch ich kommentierte es nicht. »Du hast die Polizei gerufen?«
    Mum gab keine Antwort.
    »Hast du die Polizei angerufen?«, insistierte ich.
    »Sie sind gekommen, ja«, erwiderte sie. »Daran erinnere ich mich noch.«
    »Und was passierte dann mit Genevieve?«
    Mums Mund verzog sich schmerzlich. »Das weiß ich nicht genau, ich war ja so weit weg. Ich war zu Hause, beiGran und Granddad, und lebte dort ganz abgeschieden und von allem abgekapselt, aber genau das brauchte ich.«
    Ich spürte meine Erleichterung wie eine Hülle, die mich wärmte. Da waren sie, die Antworten, nach denen ich gesucht hatte. Mum hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, hatte sich nur wie ein sozial handelnder Mensch verhalten. Wäre sie der Sache an diesem Morgen nicht nachgegangen, hätte alles noch viel schlimmer ausgehen können. Vielleicht wäre auch Genevieve gestorben. Ich fühlte mich wie ein Ballon, aus dem die Luft entwichen ist, und konnte wieder unbeschwert atmen. Wie lächerlich, sich so groteske Szenarien auszudenken, wo die Erklärung doch ganz einfach war   – traurig, aber einfach.
    »Und das hast du niemals jemandem erzählt?«
    »Bis zum

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