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Besessene

Besessene

Titel: Besessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Hayes
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nicht eintrat. Mum schien weder Liebe noch ein Gefühl der Reue für das Kind aufzubringen, das sie weggeben hatte, oder gar zu einer Rechtfertigung dafür anzusetzen, warum sie nur eines ihrer Babys hatte behalten können   – sie sah uns einfach nur erschrocken und beklommen an. Dann wechselten Genevieve und sie gedämpfte Worte, die Mum so aufgescheucht haben mussten, dass sie innerhalb weniger Minuten eine Tasche mit Proviant, Getränken, warmen Decken und einer Taschenlampe packte. Mum drang ohnejegliche Begründung darauf, dass ich meine wärmste Jacke, dicke Socken und Stiefel anzog und anschließend ins Auto einstieg.
    Dann raste sie wie ein Grand-Prix-Fahrer von unserem Haus aus los, obwohl Fernsehen und Rundfunk Warnungen herausgegeben hatten, nur unbedingt notwendige Fahrten mit dem Auto zu unternehmen. Normalerweise war Mum eher übervorsichtig, und obwohl wir nur wenige Meter weit sehen konnten, erkannte ich an den Schildern, dass wir uns auf dem Weg zur Autobahn befanden. Was immer auch zu tun war, es konnte jedenfalls nicht warten. Irgendwann musste ich wohl vor Erschöpfung eingenickt sein; das Schneegestöber, das sich Meile für Meile hinter dem Fenster rasch an uns vorbeibewegte, hatte mich mit der Zeit in einen nahezu hypnotischen Zustand versetzt und ich war erleichtert, dass mein Kopf endlich den Kampf aufgegeben hatte und ich abschalten konnte. Meine Augen fühlten sich bleiern an und fielen mir immer wieder zu, bis sie sich schließlich ganz schlossen und ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank.
    Als ich nach und nach wieder zu mir kam, hatte ich keinerlei Vorstellung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Mein Kopf befahl mir zwar, ganz aufzuwachen, aber mein Körper weigerte sich. Es war so angenehm, in meiner eigenen Dämmerwelt zu schweben. Ich hörte leise Stimmen, konnte sie jedoch nicht voneinander unterscheiden, ja, ich war mir nicht mal sicher, ob sie wirklich existierten oder nur in meiner Fantasie.
    »Sind wir hier auch richtig?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Bist du sicher? Es sieht jetzt so anders aus.«
    »Doch, ich bin schon hier gewesen   … oft sogar schon, um sie zu besuchen.«
    »Und Katy weiß noch immer nichts?«
    »Sie hat keine Ahnung. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was sie denkt.«
    »Wie sollen wir’s ihr denn beibringen?«
    »Das werden wir nicht müssen. Es wird ihr sofort klar sein, wenn wir da sind.«
    Meine Augenlider fingen an zu flattern und sofort verstummten die Stimmen. Ich streckte mich und gähnte laut. Auf meiner Armbanduhr sah ich, dass ich fast zwei Stunden geschlafen hatte.
    »Wo sind wir denn?«
    »Wir haben gerade angehalten und machen eine Pause«, antwortete Mum. Sie warf Genevieve einen nervösen Blick zu.
    Ich wischte die Fensterscheibe frei und spähte nach draußen. Der Schnee fiel hier dichter und der Himmel war elfenbeinfarben ohne auch nur einen Hauch von Blau darin. Es war erst früher Nachmittag, doch es dämmerte schon. Mum hatte das Auto vor einem ziemlich großen, ehemals stattlichen Haus mit wuchtiger schwarzer Haustür und sieben oder acht Klingelschildern geparkt, zu der eine Treppe hinaufführte. Keine von uns sagte ein Wort.
    »Das ist das Haus, in dem du mal gewohnt hast, stimmt’s?«, fragte ich schließlich.
    »Ja«, erwiderte Mum, ohne mir eine Erklärung dafür zu liefern, warum wir eine dreistündige Autofahrt hinter unsbringen mussten, nur um jetzt draußen vor der Tür ihres alten Hauses zu sitzen.
    »Können wir da nicht reingehen?«
    Mum schüttelte den Kopf. »Das sind jetzt Eigentumswohnungen, Katy, mit Gegensprechanlagen und allem Drum und Dran. Die würden uns nicht reinlassen.«
    »Es gibt da ohnehin nichts mehr zu sehen«, fügte Genevieve hinzu.
    »Nein, da ist nichts mehr zu sehen«, wiederholte Mum.
    »Außerdem müssen wir noch woandershin«, sagte Genevieve entschieden, was das Signal zu sein schien, auf das Mum gewartet hatte. Sie zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und streifte die Handschuhe über, bevor sie die Wagentür öffnete. Genevieve stieg aus, knöpfte den Mantel zu und setzte ihre Pudelmütze auf. Ich wusste, dass sie auf mich warteten. Die beiden waren auf der Reise und ich folgte ihnen blind.
    Trotz des Schnees schien Genevieve Flügel an den Füßen zu haben und schon nach wenigen Minuten wurde klar, dass sie hier das Sagen hatte und Mum sich ihr fügte. Ich sah mich um. Der Ort, an dem ich geboren war, hatte so gar nichts Faszinierendes an sich und weckte auch keinerlei

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