Besessene
Stunden verbringen sollte, bis es mir möglich war, herauszufinden, ob ich noch Freunde hatte. Meine alte Unsicherheit schien zurückzukehren. Bevor ich Nat und Hannah kennenlernte, war ich im Grunde immer voller Angstgewesen, dass niemand sich mit mir befreunden wollte, war deshalb immer viel zu sehr darum bemüht gewesen, dass man mich mochte. Genauso fühlte ich mich jetzt, als müsste ich mich von Neuem selbst beweisen. Ich tapste runter in die Küche und stellte fest, dass nur noch wenige Löffel Kaffee in der Dose übrig waren. Ich kochte mir daher einen mehr als schwachen Kaffee und wartete darauf, dass Mum aufwachte. Hier in der Küche gab es nur ein Nordfenster und bis zum späten Nachmittag kaum Licht, was sie besonders deprimierend machte. Ich setzte mich ins Esszimmer, das Flügeltüren hatte, die in den Garten hinausführten, und trank, tief in Gedanken, meinen Kaffee. Mein Herz machte einen richtigen Satz, als ich mein Handy piepsen hörte, weil ich hoffte, es sei Nat. Doch dann war es nur Luke. Er musste wohl gesehen haben, dass meine Vorhänge schon aufgezogen waren.
Nicht nach der Hexe von Lower Craxton suchen, Katy. Alles schon überprüft. Im Netz ist nichts zu finden, nicht mal ein Hinweis auf irgendeine Stadtlegende. Ich hab dir ja gesagt, die Alte spinnt, haha, X
Luke konnte ein solcher Besserwisser sein. Ich ärgerte mich, weil er mich so gut kannte und vorausgesehen hatte, dass ich mich auf die Story der alten Frau fixieren würde. Ich saß noch eine Weile länger da, inzwischen fast ein wenig verzweifelt, weil sich der heutige Tag entsetzlich in die Länge ziehen würde. Merlin war mit einer kurzfristigen Abgabe für seinen Kurs beschäftigt und Mum schlief immer noch. Ich zog mich wieder nach oben in mein Zimmer zurück und schaltete meinen Computer an. Luke bildete sich ein, dass er der Einzige war, der Recherchenanstellen konnte, und ich hatte das ganz dringende Bedürfnis, ihm das Gegenteil zu beweisen. Dazu musste man kein Journalist sein, sagte ich mir mit hartnäckigem Optimismus. Am vernünftigsten war es, sich gleich in die Arbeit zu stürzen, und meine Finger tippten los, als führten sie ein Eigenleben.
Die Hexe von Lower Craxton
ergab nicht viel Konkretes – da war ich ja schon vorgewarnt – und ich erweiterte die Suche auf den Begriff
Hexen
, der kurz und pointiert war. Tausende von Webseiten für zeitgenössische Hexen und Heiden tauchten auf, auf einige klickte ich auch zerstreuungshalber, beschloss dann aber, mich nicht ablenken zu lassen. So engte ich den Begriff auf
Hexen im Britannien des Mittelalters
ein, stieß unvermeidbar auf die grässlichen Beschreibungen von Foltermethoden und Tod durch Ertränken, Erhängen, Enthaupten und Verbrennen. Hatte eine Hexe eine besonders schlimme Tat gestanden, verwendete man manchmal ein extra langsam brennendes Holz, um ihre Qualen zu verstärken. Nach ihrem Tod trieb man dann eiserne Nieten durch ihre Knie und Ellenbogen, damit sie aus dem Grab nicht auferstehen konnte. Mit einem ganz seltsamen Gefühl im Magen schüttete ich den Kaffeesatz aus meiner Tasse.
Mum war inzwischen nach unten gegangen und ich riss mich von meinem Computer los, um ihr Gesellschaft zu leisten und weil ich am Verhungern war. Zum Frühstück gab es zwar nur zwei nach Pappe schmeckende Scheiben Brot mit Rühreiern, aber beides war mir mehr als willkommen.
»Weißt du irgendwas über Hexenverfolgungen?«, fragte ich Mum.
Sie hob die Augenbrauen und schüttelte vage den Kopf. »Ich meine mich daran erinnern zu können, dass die Hexenjäger nach Teufelsflecken Ausschau hielten«, sagte sie langsam, »und die konnten alles Mögliche sein – Sommersprossen, Muttermale, Warzen oder irgendwelche anderen Schönheitsfehler.«
Ich beschloss, mir noch eine Schüssel Getreideflocken zu genehmigen, denn Luke und ich hatten am Abend vorher nichts gegessen und mein Magen fühlte sich entsprechend leer an. Ich räusperte mich bedeutungsvoll, gewappnet mit meinem frisch erworbenen Wissen. »Viele Fachleute meinen ja, dass die ganze Hexenhysterie auf Hass und Furcht der Männer vor den Frauen zurückzuführen ist.«
Mum nickte ganz begeistert. »Die meisten Hingerichteten waren Frauen, die man für hinterhältiger und durchtriebener als Männer hielt.«
»Hm«, stimmte ich ihr zu, »aber … es gab durchaus auch Frauen, die mit dem Finger auf andere Frauen zeigten. Und das Risiko, verfolgt zu werden, erhöhte sich noch, wenn man alt, hässlich, arm oder
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