Besser so als anders
Sie wollte die Krankheit nicht näher beschreiben, daher nahm er an, dass Durchfall mit im Spiel war.
»Es gibt nichts Schlimmeres, als krank zu werden, wenn es draußen noch so schön ist«, hatte Nancy am Telefon zu Phil gesagt.
Dem konnte er nur beipflichten. »Soll ich am Samstag bei dir vorbeikommen?«, fragte er seine Mutter und dachte gleich darauf wenig selbstlos, dass er dann kostenlos seine Wäsche waschen lassen und den Hund sehen konnte.
»Ich komme schon allein zurecht«, antwortete Nancy. »Aber du, Phil, Liebling, musst für mich nach Annapolis zur Hochzeit fahren! Barb hat gesagt, dass das Menü fast zweihundert Dollar pro Person kostet, ich will doch nicht ihr Geld verschleudern. Ich rufe sie an und sage ihr, dass du die Familie vertrittst.«
Phil konnte es nicht fassen. »Mom!«, brüllte er. »Du spinnst wohl! Ich kenne diese Leute doch kaum!«
»Pass auf, was du sagst, mein Lieber«, hatte Nancy gezischt.
Und da war Phil klar geworden, dass es keinen Ausweg gab. Einer der wenigen freien Wochenendtage ohne Stadiondienst war futsch, weil er ihn auf der Hochzeit von irgendwelchen Leuten verbringen musste, die er noch nicht einmal kannte.
Obwohl die Fahrt sich unerträglich hingezogen hatte und Phil schon davon ausgegangen war, einer jener Gäste zu sein, die mitten in der Zeremonie auftauchen, fuhr er schon bald die im Sonnenlicht glitzernde Bucht Richtung Tower Gardens Country Club entlang und war sogar noch zehn Minuten zu früh da. Phil stieg aus dem Wagen und atmete tief durch. Es war ein perfekter Tag im Frühherbst, seine bevorzugte Zeit in den Camden Yards: Im Frühling war es während der Spiele noch zu kühl und im Sommer zu heiß. Phil freute sich das ganze Jahr über auf diese zwei perfekten Septemberwochen.
Gleich hinter dem Parkplatz entdeckte Phil die Hochzeitsgesellschaft von ungefähr zweihundert elegant gekleideten Leuten, die sich eifrig nach Plätzen in den Reihen der weißen Stühle umsahen. Die Frauen huschten auf Zehenspitzen über den Rasen, um zu verhindern, dass ihre Absätze in dem feuchten Gras versanken. Die meisten Männer trugen schwarze Anzüge, die Frauen hingegen entweder ein kleines Schwarzes oder geblümte Seidenkleider mit metallisch schimmernden Sandalen. Die waren dieses Jahr offenbar modern, wie Phil schon im Stadion festgestellt hatte.
Er gestand sich nur ungern ein, dass dies ein wirklich herrliches Fleckchen war. Wäre ihm eine kirchliche Trauung nicht so wichtig gewesen, hätte auch er gern hier geheiratet. Der Club wirkte wie ein Ort aus dem 19. Jahrhundert, an dem Marineoffiziere heirateten oder Golf spielten. Die Wiese sah aus wie Kunstrasen und war von gepflegten Stauden umrandet. Er kniff die Augen zusammen und entdeckte ein paar Segelboote auf dem Wasser hinter dem Holzzaun, der das Grundstück umfasste. Ein halbwüchsiger Junge begrüßte ihn, als er sich den Weg zu den Stühlen bahnte.
»Sind Sie ein Freund der Braut oder des Bräutigams?«
»Weder noch«, antwortete Phil und bereute sogleich die flapsige Antwort. »Bräutigam, meine ich, tut mir leid. Meine Mutter ist mit der Mutter des Bräutigams befreundet.«
»Das ist meine Tante Barb.«
»Genau, Barb. Ich habe sie seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Tolle Frau«, sagte Phil etwas verlegen, als der Junge auf einen der letzten freien Stühle in den Reihen der Gäste des Bräutigams zeigte. Dabei fiel ihm auf, dass die für die Gäste der Braut reservierte Seite mindestens um ein Viertel leerer als die des Bräutigams war, und das tat ihm irgendwie leid. Barbs Familie war ein Haufen ausgelassener Leute, die schon jetzt etwas angeheitert und munter auf den Beginn der Zeremonie warteten, was die Sippschaft der Braut umso verklemmter und missmutiger wirken ließ. Kurz bevor Phil sich setzte, beschloss er also, die Seiten zu wechseln. Rasch huschte er zu einem der vielen leeren Stühle auf der Seite der Brautfamilie, um ein wenig Ausgleich zu schaffen. Er suchte sich eine leere Sitzreihe aus in der Hoffnung, dass sich niemand neben ihn setzen würde – für den Fall, dass sein Anzug müffelte.
Phil war sehr auf Sauberkeit erpicht, er duschte zweimal am Tag, vor und nach jedem Spiel, doch aufgrund des straffen Baseballspielplans hatte er seinen Kleiderschrank nicht richtig im Griff. Er sorgte penibel dafür, dass seine Uniform und die beigefarbenen Cargohosen aus dem Übergrößenladen sauber waren, doch ansonsten hatte er keine Ahnung, wo seine privaten Klamotten oder die Anzüge
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