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Besser so als anders

Besser so als anders

Titel: Besser so als anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Goldstein
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waren. Vor zwei Tagen hatte Nancy Phil von der Hochzeit in Kenntnis gesetzt, doch nur sehr zögerlich hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, die Uhrzeit und den Ort notiert und sich auf die Suche nach seinem schicken Anzug begeben, den er seit der Taufe seines Neffen im Juli irgendwo im Schlafzimmer verschlampt hatte.
    Eine Stunde lang hatte er unter dem Bett und in den Wäschestapeln gewühlt, bis er das zerknitterte graue Jackett und die Hose in einer Tasche gefunden hatte, die er für die Reinigung gepackt, dann aber natürlich nie hingebracht hatte. Doch nach ein paar Minuten im Wäschetrockner war sein Anzug wieder faltenfrei. Nur brachte Phil den Geruch nicht heraus. Obwohl fast zwei Monate vergangen waren, roch der Anzug immer noch nach den Chicken Wings, die er nach der Taufe verschlungen hatte. Der Geruch verursachte ihm Hunger und Ekel zugleich. Phil überlegte, ob das Pärchen vor ihm ihn wohl auch riechen konnte. Er wollte sich bei ihnen entschuldigen, doch dann konzentrierte er sich lieber auf das Hochzeitsprogramm, das auf seinem Schoß lag. Er war noch nie auf einer Hochzeit gewesen, auf der keiner der Namen im Programm ihm etwas sagte. Zwölfmal hatte er selbst schon an Hochzeiten mitgewirkt – bei fast allen seinen Mitspielern in der College-Mannschaft zum Beispiel – und zweimal war er sogar Trauzeuge gewesen. Phil fuhr mit dem Finger über den Namen des Bräutigams und versuchte sich daran zu erinnern, wann er Matt Fee zum letzten Mal gesehen hatte. Er konnte sich nur dunkel an Barbs Familie erinnern, obwohl sie so wichtig für seine Mutter gewesen war. Jetzt fragte er sich, ob er sie schlichtweg verdrängt hatte.
    Nun, da er älter war, wurde ihm klar, dass Barb während der letzten Lebensjahre seines Vaters wahrscheinlich der einzige greifbare Trost für seine Mutter gewesen war. Phil war noch klein gewesen, als bei seinem Vater eine Erkrankung diagnostiziert wurde, die schließlich zum Tod geführt hatte. Ein Leiden, das sein Bruder Fremden gegenüber als »nicht richtig Parkinson, aber auch nicht richtig Lou-Gehrig-Syndrom« bezeichnete.
    Soweit Phil sich erinnerte, war die Krankheit sehr diffus gewesen. Wie ein dunkler Nebel hatte sie sich über das Gehirn seines Vaters gelegt und dafür gesorgt, dass er nach und nach seine Fähigkeit zu schreiben, zu gehen und schließlich zu atmen verloren hatte.
    Zuerst waren Nancy, Phil und sein Bruder Mickey davon ausgegangen, dass der oft mürrische und ständig flachsende Patriarch der Familie einfach nur Depressionen hatte. Frank zog sich immer mehr zurück und wurde schweigsam, doch das schrieben sie dem Verlust seiner Mutter zu, die im Jahr zuvor verstorben war.
    Irgendwann stellte Nancy Frank wegen seines anhaltenden Trübsinns aber doch zur Rede. Seine Antwort war schlicht und dennoch erschreckend. »Ich glaube, es geht mir nicht gut«, war alles, was er sagte, während eine Träne seine Wange hinunterrollte.
    Innerhalb einer Woche hatten sie einen Termin im Krankenhaus gehabt, um ihn gründlich durchchecken zu lassen, und innerhalb eines Monats lag die Diagnose auf dem Tisch.
    »Die Erkrankung nennt sich frontotemporale Demenz«, hatte Nancy ihren Söhnen erklärt, die mit gesenkten Köpfen auf der geblümten Familiencouch saßen. Auch Frank war dabei. Er saß in seinem Lieblingssessel und starrte aus dem Fenster.
    Die Krankheit schritt nur sehr langsam voran, was Phil insgeheim irritiert und auch ein wenig erbost hatte. Denn wenn Frank schnell gestorben wäre und seine Fähigkeiten innerhalb eines Jahres verloren hätte, hätte Nancy nicht ihre besten Jahre mit der Pflege eines kranken Mannes verbracht, der über sechs lange Jahre hinweg von Wutausbrüchen zu Wachkomazuständen wechselte. Es hatte den Anschein, als würde das Ganze ewig so weitergehen, und immer stand Nancy ihm zur Seite – solange sie konnte.
    Die wichtigste Erinnerung, die Phil an Nancys Freundin Barb Fee hatte, war das, was sie an jenem Abend zu seiner Mutter gesagt hatte, als dieser klar geworden war, dass sie Frank in ein Pflegeheim geben musste. Phil war gerade auf dem Weg von seinem Zimmer ins Wohnzimmer gewesen, weil er ein wenig fernsehen wollte, als er Barb und Nancy flüstern hörte. Im Schatten des Flurs blieb er stehen und lauschte.
    »Du kannst dich nicht mehr um ihn kümmern«, sagte Barb sanft. »Du warst ein Engel. Du hast alles für ihn getan. Aber jetzt übersteigt es deine Kräfte, und für die Jungs ist es auch nicht gut. Nancy, es ist an der Zeit, ihn in

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