Besser so als anders
denen sie sich in ihren Wohnheimen eingebunkert hatten und manchmal achtundvierzig Stunden lang nicht vor die Tür gegangen waren. Als Vicki und ihre Collegefreunde achtzehn waren, fühlte sich jeder von jedem angezogen, und selbst als sie mit zwanzig Pärchen bildeten – Hannah zuerst heimlich mit Rob und später mit Tom, und Vicki mit dem Musiker und Umweltschützer Rich, der jetzt in Nova Scotia lebte, nachdem er drei Jahre Mitglied einer Friedensbewegung gewesen war – , fühlte es sich immer an, als wären die Pärchen Teil eines größeren Ganzen. Als wäre alles eine einzige große Romanze, egal wer mit wem abends schlafen ging.
Damals hatte es kaum Grenzen gegeben, jeder hatte das Recht, seine eigenen Freundschaften und Geheimnisse zu pflegen. Als Tom zu ihrer Clique stieß, rissen er und Vicki ihre ganz persönlichen Insiderwitze, ohne dass es Hannah verärgert hätte. Sie sahen sich gemeinsam Filme an, während Hannah im Theater war, und warfen dann eine Münze, um zu bestimmen, wer durch den Schnee den rutschigen Hügel zum Syracuse Theater hinunterfahren und Hannah abholen musste, die dort in ihrem dicken Mantel an der Straßenecke wartete. Und obwohl Rob nie versuchte, Bee ins Bett zu bekommen, liebte er sie dennoch und blieb ganze Nächte für sie auf, um ihre Arbeiten zu redigieren, obwohl er sich eigentlich um seine eigenen hätte kümmern müssen. Auch Bee und Tom kamen sich näher, als sie im letzten Semester an einem Weinverkostungsseminar teilnahmen. Danach zogen sie Hannah während gemeinsamer Abendessen in ihrem Apartment immer damit auf, dass der aufgetischte Sechs-Dollar-Chardonnay »ein ganz besonders exquisites Eichenholzaroma« habe.
Selbst Vicki und Rob hatten ihre vertrauten Momente. Vicki hatte sich nie so wie die anderen von Rob angezogen gefühlt – er lieh sich immer Geld von Rich und der Band, und aufgrund seiner heimlichen Beziehung zu Hannah musste Vicki etwas vor Bee verheimlichen – , dennoch war es eine entspannte Freundschaft gewesen. Im zweiten Studienjahr machten sie regelmäßig Ausflüge, um für die überwiegend minderjährigen Studenten in ihrem Wohnheim Alkohol zu besorgen. Sie brannten Mix- CD s für ihre Fahrten nach Kanada, wo sie schon als volljährig galten, und äfften im Auto Robs Bandleader Jared Novak nach. Sie dachten sich Namen für Vickis Traumfirma aus, die sie nach dem Abschluss gründen wollte.
» Innere Werte «, schlug Rob an einem Samstagnachmittag während einer ihrer Fahrten über die Grenze vor. »Damit will man doch sagen, dass etwas von innen schön ist. Und genau das wirst du tun. Du wirst Gebäude von innen verschönern. Ihnen inneren Wert verleihen. Deshalb sollte deine Einrichtungsfirma Innere Werte heißen.«
» Innere Werte «, wiederholte Vicki leise und dachte darüber nach, während sie an der Grenze ihre Ausweise herauskramten. »Das könnte funktionieren.«
»Und wie wäre es einfach mit Vicki Clifford Interieurs ?«, schlug sie dann vor.
»Nee. Zu langweilig. Ein Wortspiel ist besser fürs Geschäft«, sagte Rob. »Das ist genau wie mit meinem Friseur bei mir zu Hause. Ich gehe nur dorthin, weil er Hairkules heißt. Ich liebe solchen Scheiß.«
Eigentlich hätte Rob auch an diesem Abend neben ihr sitzen sollen. Vicki warf Joe ein trauriges Lächeln zu. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass sie sich wünschte, Rob wäre zur Hochzeit erschienen. Auch wenn Joe sich als ein durchaus angenehmer Ersatz entpuppt hatte. Er war vom Typ her genau wie ihre alten Freunde, die sie schon so lange vermisste.
Die Leute in der Firma, für die Vicki in Rochester arbeitete, waren da ganz anders. Man neckte sich nicht, man unterhielt sich nicht, ohne dass Pausen entstanden. Zu Joe hingegen hatte sie innerhalb weniger Minuten einen Draht gefunden. Vielleicht, weil er mit Bee verwandt war. Oder vielleicht, weil Vicki mit ihren Freunden vom College ganz sie selbst sein konnte.
»Ich sollte Sie mal in Las Vegas besuchen«, sagte Vicki und meinte es auch so. Sie stellte sich vor, wie sie mit Hannah, Bee und Joe mit Rucksäcken und Wasserflaschen im Gepäck über die Hügel in der Wüste Nevadas wanderte. Schon seit Jahren war sie nicht mehr einfach so zum Vergnügen verreist. Sie zuckte zusammen, als sie von ihrem Gegenüber am Tisch ein zigarettenverqualmtes Grunzen hörte. Es war Jimmy Fee. Seit sie am Tisch saß, hatte sie es vermieden, ihn direkt anzusehen, weil sie fürchtete, in Gelächter auszubrechen. Er war wirklich die Karikatur
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