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Besser verhandeln - Das Trainingsbuch

Titel: Besser verhandeln - Das Trainingsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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den ganzen Tag erwartet.
    »Mary«, rief er mit zitternder Stimme, »die Bank hat gegen mich eine gerichtliche Entscheidung erwirkt, die mir morgen zugestellt werden wird.«
    Sie versuchte ruhig zu bleiben.
    »Hast du nochmals mit ihnen gesprochen?« fragte sie und der Ton ihrer Stimme spiegelte ihre Angst wider.
    »Ich hab alles Menschenmögliche getan«, antwortete er resigniert. »Ich hab sie gebeten, ich hab sie angefleht, mir noch etwas Zeit zu geben, aber sie haben gesagt, sie können nichts mehr für mich tun.«
    »Hast du mit deinem Bruder David gesprochen?« fragte Mama. »Vielleicht kann er dir das Geld geben.«
    »Ich hab auch mit ihm gesprochen«, antwortete er. Nach einem Moment des Schweigens sagte er mit entsetzlicher Endgültigkeit. »Wir sind am Ende - erledigt!«
    »Harry, was soll denn jetzt aus uns werden?« Vor ihren Augen tauchte die Vision ihrer Familie auf, wie sie in Lumpen gehüllt durch die Straßen zog. Sie unterdrückte tapfer die aufsteigende Hysterie. »David kommt heute abend mit seinem Wagen«, erwiderte Papa. »Wir werden versuchen, soviel Waren wie möglich aus dem Laden herauszuschaffen. Dann werden wir das Zeug bei ihm verstecken, bis ich Mittel und Wege gefunden habe, irgendwo ein neues Geschäft zu eröffnen.«
    »Wenn man euch dabei erwischt, kommst du noch ins Gefängnis«, rief sie.
    »Dann geh ich eben ins Gefängnis«, antwortete er mit tonloser Stimme. »Viel Ärgeres kann mir ja kaum noch passieren.« Nachdem er ihr das, was sich ereignet, erzählt hatte, schien er jegliche Fähigkeit, eine Gemütsbewegung zu empfinden, verloren zu haben. »Sie beschlagnahmen auch das Haus.« Er verfiel ins Jiddische, was nicht oft geschah. »Alles is forloren«, sagte er, »alles is weg.«
    Das war der Abend, an dem ich heimkam und Mama weinend am Küchentisch sitzend vorfand, während Mimi, gleichfalls tränenüberströmt, ihre Hand hielt.
    Das war der Abend, an dem ich ohne Abendbrot in Papas Geschäft ging, um dabei zu helfen, die hastig verpackten Warenkisten in Onkel Davids Wagen hinauszutragen.
    Das war die Nacht, in der ich um zwei Uhr morgens auf der verdunkelten Straße stand und mein Vater, der die ganze Zeit bitterlich weinte, die Schaufenster zusperrte und dabei unaufhörlich murmelte:    »Fünfundzwanzig    Jahre.
    fünfundzwanzig Jahre!« Das war die Nacht, in der ich mit ansehen mußte, wie Papa und Mama einander weinend in die Arme stürzten, in der ich lernte, daß auch sie Gefühle hatten, die sie nicht zu kontrollieren vermochten. Zum erstenmal sah ich Angst, Verzweiflung und völlige Hoffnungslosigkeit in ihren Gesichtern.
    Ich eilte rasch in mein Zimmer, kleidete mich aus, kroch ins Bett und starrte schlaflos in die Finsternis. Das gedämpfte Murmeln ihrer Stimmen drang bis zu mir herauf. Ich konnte nicht einschlafen; ich sah, wie das Morgengrauen ins Fenster gekrochen kam, und ich hatte noch nichts gefunden, was ich tun konnte. gar nichts! Das war die Nacht, in der ich mir zum erstenmal eingestand, daß es nicht mein Haus ist, daß es in Wirklichkeit jemand ganz anderem gehört, und daß ich kein Herz mehr hatte, um Tränen zu vergießen.
    Umzugstag I.Dezember 1932
    Alles ging schief. Alles ging schief, nichts ging glatt. Ich wußte es in derselben Minute, in der ich die U-Bahn-Station in der Church Street betrat, anstatt zu Fuß nach Hause zu gehen. Am Morgen, beim Aufstehen, hatte ich das dumpfe beklemmende Gefühl gehabt, als hätte mich jemand in den Solarplexus gestoßen. Und dieses Gefühl hatte sich den ganzen Tag über immer noch verstärkt. Jetzt merkte ich, wie sich dieser Schmerz über den ganzen Körper verbreitete. Ich war auf dem Weg von der Schule nach Hause - aber nicht mehr in unser Haus.
    Als ich den Bahnsteig betrat, stand ein Expreßzug da, und ich begann automatisch zu laufen. Ich konnte gerade noch hinein, ehe sich die Türen schlossen. Da kein Sitzplatz frei war, lehnte ich mich auf der gegenüberliegenden Seite an die Türe, die sich auf der ganzen Strecke nur ein einziges Mal in der Atlantic Avenue öffnet, so daß ich wenigstens möglichst unbehelligt stehen konnte. Es war kalt im Zug, und ich stellte den Kragen meiner Schaffelljacke auf. Es hatte vor einigen Tagen geschneit, aber die Straßen waren schon wieder völlig gesäubert. Nur in den Alleen des Prospect Parks sah ich, während der Zug hindurchfuhr, noch etwas Schnee. Jetzt verschlang uns der Tunnel und erstickte das Tageslicht. Ich holte tief Atem und versuchte das

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