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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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und bekam Besuch von zwei Männern. Einer von denen hatte einen kleinen Stoffhund, den er an der Leine durch den Garten zog. Jim war damals schätzungsweise sechs. Er lief dem Hund hinterher, wollte ihn auf den Arm nehmen, aber jedes Mal wenn er nach ihm griff, riss der Mann an der Leine. Irgendwann steckte er den Hund in den Wagen, und Jimmy stieg auch ein.«
    »Waren die beiden lange weg?«, fragte Nautilus.
    Carla Joiner versteckte sich hinter einer Rauchwolke. »Ein paar Tage lang. Höchstens eine Woche.«
    Nautilus bemühte sich, ruhig weiterzusprechen. »Diese andere Frau, die Lorinn Day besser kannte … hat sie jemanden informiert? Hat sich die Polizei um diese Sache gekümmert?«
    Ms Joiner wandte das Gesicht ab und trank einen großen Schluck. »Diese Frau … sie hatte ja keinen Schimmer, dass da etwas schieflief. Sie hielt die Männer für Verwandte, Familienangehörige. Die Leute hier mischen sich nicht in die Privatangelegenheiten anderer.«
    Drei Ausreden in einem Atemzug, dachte Nautilus und widerstand dem Verlangen, sich die Frau zu schnappen und sie zu fragen, ob sie ihr ganzes Leben lang weggeschaut hatte. Joiner zog zweimal gierig an ihrer Zigarette, trank das Glas in einem Zug leer und schwenkte die Eiswürfel. »Ich brauche noch einen Schluck Kräuterlimo.«
    Als sie diesmal aus der Küche zurückkehrte, hatte der Drink die Farbe von dünnem Eistee. Ein Viertel Limonade, drei Viertel harter Stoff, schlussfolgerte Nautilus. Er musste sich beeilen, wenn er von ihr noch etwas erfahren wollte, bevor sie sternhagelvoll war.
    »Wie lange dauert das hier denn noch?«, erkundigte sie sich.
    »Ich habe nur noch ein paar Fragen, Ms Joiner. Hat sich da drüben irgendwann mal etwas geändert?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Da war doch ein Tag wie der andere. Ich wusste nie … ich meine, die Nachbarin wusste nie, wann Jimmy da war und wann nicht. Das Kind war ein Eigenbrötler.«
    »Und keiner hat etwas gesagt?«
    »Ein Mann, der ein Stück weiter die Straße hinunter wohnte, ist mal zu der Day gegangen und hat sie gefragt, was sie da eigentlich treibt. Drei Tage später ging sein Haus in Flammen auf. Da ist er weggezogen und hat sich hier nie wieder blicken lassen. Ich selbst weiß nichts über diese Leute. Und außerdem ist das Schnee von gestern.«
    Als Nautilus sich erhob, merkte er, dass er Kopfschmerzen bekam. Lag das am Zigarettenrauch? Oder an der Geschichte über Jim Days Kindheit?
    »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen, Ms Joiner. Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.« Er legte seine Visitenkarte auf den Tisch und ging nach draußen. Als er den Gehweg hinunterschlenderte, ging die Haustür auf und eine schwankende Carla Joiner erschien auf der Türschwelle. Mit der Zigarette in der Hand schob sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und merkte nicht, dass Asche auf ihre Wange fiel.
    »He … mir ist gerade noch etwas eingefallen. Schon seltsam, wie dieser Junge war. Oder – besser gesagt – wie er nicht war.«
    »Ich verstehe nicht ganz, Ms Joiner.«
    »Jim hat sich nie seinem Alter entsprechend verhalten. Einmal habe ich nach Schulschluss am Fenster gestanden. Jim muss damals acht gewesen sein. Die anderen Kinder sind aus dem Bus gesprungen und haben über ihn gelacht, ihn geschubst und gezwickt. Als sie vor meinem Garten waren, bin ich rausgerannt und habe sie verscheucht. Ich dachte, Jimmy würde weinen, doch ich hatte mich getäuscht. Er schaute mich an. Seine Miene verriet keine Gefühlsregung, und er sagte etwas total Irres.«
    »Was hat er denn gesagt, Ms Joiner?«
    Carla Joiner kippte das Eis aus ihrem Glas auf den dürren Boden in ihrem Vorgarten, zog ein letztes Mal an ihrer Kippe und warf sie weg.
    »Er sagte: ›Wie hätten die mich denn gern, Miss Carla? Ich habe keine Ahnung, wie die mich gern hätten.‹«
    »Wie hätten die mich denn gern?«, wiederholte Nautilus und wünschte von ganzem Herzen, er wäre irgendwo anders anstatt in dieser traurigen kleinen Straße mitten im Nirgendwo.

KAPITEL 34
    Nautilus konsultierte die Landkarte. Sein nächstes Ziel auf dieser Jim-Day-Erkundungstour war ein Paar, bei dem Day als Teenager für ein paar Monate untergekommen war. Der Junge hatte im Lauf der Jahre bei mehreren Pflegeeltern gelebt, doch Nautilus hatte nur eine Familie gefunden, die er jetzt aufsuchen konnte.
    Marlene Cullers, die südlich von Carrollton wohnte, wirkte trotz der Nickelbrille und der grauen Haare, die ihr bis zur

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