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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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etwas älter sind als ich. Wenn ich mich recht entsinne, war er bei männlichen Zuschauern ganz besonders beliebt. Wayne spielte schon den Macho, bevor diese Bezeichnung in aller Munde war.«
    »Und was hat das mit unserem Fall zu tun?«
    »Gestern Abend war ich in der Videothek, habe mir eine John-Wayne-Box ausgeliehen und Rio Grande angeschaut.« Harry hielt die DVD-Box vor die Kamera. Auf dem Deckel war ein Foto von dem Schauspieler, auf dem er einen riesigen Cowboyhut und ein Halstuch trug und einen rauchenden Colt in der Hand hielt.
    »Der Stoff hat mich ziemlich nachdenklich gestimmt, Carson. In einem Fort auf Indianergebiet bekommt ein abgebrühter Kavallerieoffizier einen jungen Rekruten, der sein Sohn ist und den er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat.«
    »Jetzt lass mich mal raten, Harry: Der Sohn will dem Vater beweisen, was für ein toller Typ er ist.«
    Harry nickte. »Das gleiche Schema wie bei Muhammad und Malvo, was? Also genau die Thematik, für die sich unsere Dr. Prowse interessiert hat.«
    Ich starrte Harry an, der in seinem heimischen Arbeitszimmer saß. Hinter ihm an der Wand hing ein Poster vom Newport Jazz Festival. Er hatte meine Bitte, Jim Days Telefonnummer herauszufinden, übererfüllt, und auf einmal ergab sich aus den unzusammenhängenden Puzzleteilchen ein schauerliches Gesamtbild.
    Harry wedelte mit einem Notizblock vor der Kamera herum. »Ich habe mir gestern Abend Notizen gemacht. Carson, du bist schon wieder zu dicht an der Kamera.«
    »Entschuldigung.«
    »Day wurde als Kind schwer missbraucht und wahrscheinlich von der Mutter und Oma an Freier verkauft. Ein nicht enden wollender Albtraum. Als die Mutter ins Gefängnis kommt, ist Day dreizehn und landet wie ein Wanderpokal in mehreren Pflegefamilien. Mit fünfzehn zündelt er und quält Tiere. Und er macht ins Bett.«
    »Na super«, stöhnte ich. Psychologen hatten nachgewiesen, dass Brandstiftung, Tierquälerei und chronisches Bettnässen die drei wichtigsten Verhaltensauffälligkeiten waren, die bei Sozio- und Psychopathen auftraten. Eine Auffälligkeit allein ist unbedenklich, zwei geben Anlass zur Sorge, bei drei sollten die Alarmglocken läuten.
    »Zur gleichen Zeit«, fuhr Harry fort, »hat sich Day mit Vorliebe Western angeschaut, in denen Typen wie John Wayne labile Jungs unter ihre Fittiche nehmen und sie mit einer Mischung aus gebotener Strenge und Härte zu Männern machen. Das prägte Days Vorstellung von Männlichkeit.«
    »Das Zerrbild eines Vaters ohne emotionalen Tiefgang.«
    Auf meinem Monitor sah ich, wie Harry anerkennend den Daumen hoch streckte. »Day heiratet, ist jedoch nicht in der Lage, mit einer Frau intim zu werden. Klingt fast so, als lege er in diesem Bereich autistische Züge an den Tag. Sex verstört ihn und hat etwas Demütigendes. Und irgendwann tauchte der Schwiegervater auf und macht ihn zur Schnecke.«
    »Hat er wirklich einen Indianergesang angestimmt und den Tomahawk geschwungen?« Ich bewegte meine Hand vor der Kamera auf und ab.
    »Indianer zu bezwingen war in alten Western ein gängiges Thema. Ich interpretiere das ja folgendermaßen: Day wollte kapitulieren. Diese Begebenheit war in seiner psychischen Entwicklung garantiert ein Schlüsselerlebnis. Willst du wissen, welche Schlussfolgerung Jimmy Day daraus meiner Meinung nach gezogen hat?«
    Ich überlegte kurz und zählte eins und eins zusammen.
    »Dass er der Daddy werden wollte.«
    »Als missbrauchtes und vaterloses Kind wusste er ganz genau, was solche Burschen suchen. Day war ziemlich kaputt, doch er lernte, das zu verstecken. Und irgendwann tauscht er die Uniform des Wachmanns – die er bei der Hochzeit trug, was ziemlich traurig ist – gegen die des Polizisten. Und schwuppdiwupp ist er eine Autoritätsperson, ein Mann.«
    Ich ahnte, worauf das hinauslief, und begann zu frösteln.
    »Dein Vater wird ermordet«, sagte Harry. »Day ist davon besessen, Rache zu nehmen, und träumt von einer Alternative. Ein Jahr vergeht, bis er den Fall löst, was keiner mitbekommt. Schließlich findet er einen verstörten jungen Mann, mit dem er sich anfreunden kann, den er hegen, pflegen und in die richtige Richtung schieben kann.«
    »Day verwandelte sich in Muhammad und Jeremy in Malvo«, flüsterte ich.
    Harry nickte traurig. »Ganz genau, Carson. Dein Bruder ist Jim Days Sohn. Oder war es zumindest.«
    *
    Der Mann öffnete einen Schrank und stellte eine Flasche auf den Tisch. Einmal pro Tag musste er sich diese spezielle Flasche und

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